Edition Deutsch
    Library / Literary Works

    E.T.A. Hoffmann

    Der Musikfeind

    Es ist wol etwas Herrliches, so durch und durch musikalisch zu seyn, daß man, wie mit besonderer Kraft ausgerüstet, die größten musikalischen Massen, die die Meister mit einer unzähligen Menge Noten und Töne der verschiedensten Instrumente aufgebauet, leicht und lustig handhabt, indem man sie, ohne sonderliche Gemüthsbewegung, ohne die schmerzhaften Stöße des leidenschaftlichen Entzückens, der herzzerreißenden Wehmuth zu spüren, in Sinn und Gedanken aufnimmt. – Wie hoch kann man sich dann auch über die Virtuosität der Spieler im Innern erfreuen; ja, diese Freude, die von Innen herausstrebt, recht laut werden lassen, ohne alle Gefahr. An die Glückseligkeit, selbst ein Virtuos zu seyn, will ich gar nicht denken; denn noch viel tiefer wird dann mein Schmerz, daß mir aller Sinn für Musik so ganz und gar abgeht, woher denn auch meine unbeschreibliche Unbeholfenheit in der Ausübung dieser herrlichen Kunst, die ich leider von Kindheit auf gezeigt, rühren mag. – Mein Vater war gewiß ein ein tüchtiger Musikus; er spielte fleißig auf einem großen Flügel oft bis in die späte Nacht hinein, und wenn es einmal ein Concert in unserm Hause gab, dann spielte er sehr lange Stücke, wozu ihn die Andern auf Violinen, Bässen, auch wol Flöten und Waldhörnern ganz wenig begleiteten. Wenn solch ein langes Stück endlich heraus war, dann schrieen Alle sehr und riefen: „Bravo, Bravo! welch ein schönes Concert! wie fertig, wie rund gespielt!“ und nannten mit Ehrfurcht den Namen Emanuel Bach! – Der Vater hatte aber so viel hinter einander gehämmert und gebrauset, daß es mir immer vorkam, als sey das wol kaum Musik, worunter ich mir so recht ans Herz gehende Melodien dachte, sondern er thue dies nur zum Spaß, und die Andern hätten auch wieder ihren Spaß daran. – Ich war bei solchen Gelegenheiten immer in mein Sonntagsröckchen geknöpft, und mußte auf einem hohen Stuhl neben der Mutter sitzen und zuhören, ohne mich viel zu regen und zu bewegen. Die Zeit wurde mir entsetzlich lang, und ich hätte wol gar nicht ausdauern können, wenn ich mich nicht an den besondern Grimassen und komischen Bewegungen der Spieler ergötzt hätte. Vorzüglich erinnere ich mich noch eines alten Advocaten, der immer dicht bei meinem Vater die Geige spielte, und von dem sie immer sagten, er wäre ein ganz übertriebener Enthusiast, und die Musik mache ihn halb verrückt, so daß er in der wahnsinnigen Exaltation, zu der ihn Emanuel Bachs oder Wolfs oder Benda’s Genius hinaufschraube, weder rein greife, noch Takt halte. – Mir steht der Mann noch ganz vor Augen. Er trug einen pflaumfarbenen Rock mit goldgesponnenen Knöpfen, einen kleinen silbernen Degen und eine röthliche, nur wenig gepuderte Perücke, an der hinten ein kleiner runder Haarbeutel hing. Er hatte einen unbeschreiblichen komischen Ernst in Allem, was er begann. Ad Opus! pflegte er zu rufen, wenn der Vater die Musikblätter auf die Pulte vertheilte. Dann ergriff er mit der rechten Hand die Geige, mit der linken aber die Perücke, die er abnahm und an einen Nagel hing. Nun hob er an, sich immer mehr und mehr übers Blatt beugend, zu arbeiten, daß die rothen Augen glänzend heraustraten und Schweißtropfen auf der Stirn standen. Es geschah ihm zuweilen, daß er früher fertig wurde, als die Uebrigen, worüber er sich denn nicht wenig wunderte und die Andern ganz böse anschaute. Oft war mir es auch, als brächte er Töne heraus, denen ähnlich, die Nachbars Peter, mit naturhistorischem Sinn die verborgenen musikalischen Talente der Katzen erforschend, unserm Hauskater ablockte, durch schickliches Einklemmen des Schwanzes und sonst: weshalb er zuweilen von dem Vater etwas geprügelt wurde – (nämlich der Peter). – Kurz, der pflaumfarbene Advokat – er hieß Musewius – hielt mich ganz für die Pein des Stillsitzens schadlos, indem ich mich an seinen Grimassen, an seinen komischen Seitensprüngen, ja wol gar an seinem Quinkeliren höchlich ergötzte. – Einmal machte er doch eine vollkommene Störung in der Musik, so daß mein Vater vom Flügel aufsprang und Alle auf ihn zustürzten, einen bösen Zufall, der ihn ergriffen, befürchtend. Er fing nämlich an, erst etwas Weniges mit dem Kopfe zu schütteln, dann aber, in einem fortsteigenden Crescendo immer stärker und stärker den Kopf hin und her zu werfen, wozu er gräßlich mit dem Bogen über die Saiten hin und her fuhr, mit der Zunge schnalzte und mit dem Fuß stampfte. Es war aber nichts als eine kleine feindselige Fliege, die hatte ihn, mit beharrlichem Eigensinn in demselben Kreise bleibend, umsummt, und sich, tausendmal verjagt, immer wieder auf die Nase gesetzt. Das hatte ihn in wilde Verzweiflung gestürzt. – Manchmal geschah es, daß die Schwester meiner Mutter eine Arie sang. Ach, wie freute ich mich immer darauf! Ich liebte sie sehr; sie gab sich viel mit mir ab, und sang mir oft mit ihrer schönen Stimme, die so recht in mein Innerstes drang, eine Menge herrlicher Lieder vor, die ich so in Sinn und Gedanken trage, daß ich sie noch für mich leise zu singen vermag. – Es war immer etwas Feierliches, wenn meine Tante die Stimmen der Arien von Hasse, oder von Traetta, oder sonst einem Meister, auflegte; der Advokat durfte nicht mitspielen. Schon wenn sie die Einleitung spielten und meine Tante noch nicht angefangen zu singen, klopfte mir das Herz, und ein ganz wunderbares Gefühl von Lust und Wehmuth durchdrang mich, so daß ich mich kaum zu fassen wußte. Aber kaum hatte die Tante einen Satz gesungen, so fing ich an bitterlich zu weinen, und wurde unter heftigen Scheltworten meines Vaters zum Saal hinausgebracht. Oft stritt sich mein Vater mit der Tante, weil letztere behauptete, mein Betragen rühre keinesweges davon her, daß mich die Musik auf unangenehme, widrige Weise afficire, sondern vielmehr von der übergroßen Reizbarkeit meines Gemüths; dagegen mich der Vater geradezu einen dummen Jungen schalt, der aus Unlust heulen müsse, wie ein antimusikalischer Hund. – Einen vorzüglichen Grund, nicht allein mich zu vertheidigen, sondern auch sogar mir einen tief verborgenen musikalischen Sinn zuzuschreiben, nahm meine Tante aus dem Umstande her, daß ich oft, wenn der Vater zufällig den Flügel nicht zugeschlossen, mich stundenlang damit ergötzen konnte, allerlei wohlklingende Akkorde aufzusuchen und anzuschlagen. Hatte ich nun mit beiden Händen drei, vier, ja wohl sechs Tangenten gefunden, die, auf einmal niedergedrückt, einen gar wunderbaren, lieblichen Zusammenklang hören ließen, dann wurde ich nicht müde, sie anzuschlagen und austönen zu lassen. Ich legte den Kopf seitwärts auf den Deckel des Instruments; ich drückte die Augen zu; ich war in einer andern Welt; aber zuletzt mußte ich wieder bitterlich weinen, ohne zu wissen, ob vor Lust oder vor Schmerz. Meine Tante hatte mich oft belauscht und ihre Freude daran gehabt, wogegen mein Vater darin nur kindische Possen fand. Ueberhaupt schienen sie, so wie über mich, auch rücksichtlich anderer Gegenstände, vorzüglich der Musik, ganz uneins zu seyn, indem meine Tante oft an musikalischen Stücken, vorzüglich, wenn sie von italienischen Meistern ganz einfach und prunklos componirt waren, ein großes Wohlgefallen fand; mein Vater aber, der ein heftiger Mann war, dergleichen Musik ein Dudeldumdei nannte, daß den Verstand nie beschäftigen könne. Mein Vater sprach immer vom Verstande, meine Tante immer von Gefühl. – Endlich setzte sie es doch durch, daß mein Vater mich durch einen alten Kantor, der in den Familienconcerten gewöhnlich die Viole strich, im Klavierspielen unterrichten ließ. Aber, du lieber Himmel, da zeigte es sich denn bald, daß die Tante mir viel zu viel zugetraut, der Vater dagegen recht hatte. An Taktgefühl, so wie am Auffassen einer Melodie, fehlte es mir, wie der Kantor behauptete, keinesweges; aber meine grenzenlose Unbehülflichkeit verdarb Alles. Sollte ich ein Uebungsstück für mich exerciren, und setzte mich mit dem besten Vorsatz, recht fleißig zu seyn, an das Klavier: so verfiel ich unwillkührlich bald in jene Spielerei des Akkordsuchens, und so kam ich nicht weiter. Mit vieler, unsäglicher Mühe hatte ich mich durch mehrere Tonarten durchgearbeitet, bis zu der verzweifelten, die vier Kreuze vorgezeichnet hat, und, wie ich jetzt noch ganz bestimmt weiß, E dur genannt wird. Ueber dem Stück stand mit großen Buchstaben: Scherzando Presto, und als der Kantor es mir vorspielte, hatte es so was Hüpfendes, Springendes, das mir sehr mißfiel. Ach, wie viel Thränen, wie viel ermunternde Püffe des unseligen Kantors kostete mich das verdammte Presto! Endlich kam der für mich schreckliche Tag heran, an dem ich dem Vater und den musikalischen Freunden meine erworbenen Kenntnisse produciren, Alles, was ich gelernt, vorspielen sollte. Ich konnte Alles gut, bis auf das abscheuliche E-dur-Presto: da setzte ich mich Abends vorher in einer Art von Verzweiflung ans Klavier, um, koste es was es wolle, fehlerfrei jenes Stück einzuspielen. Ich wußte selbst nicht, wie es zuging, daß ich das Stück gerade auf den Tangenten, die denen, welche ich aufschlagen sollte, rechts zunächst lagen, zu spielen versuchte; es gelang mir, das ganze Stück war leichter geworden, und ich verfehlte keine Note, nur auf andern Tangenten, und mir kam es vor, als klänge das Stück sogar viel besser, als so, wie es mir der Kantor vorgespielt hatte. Nun war mir froh und leicht zu Muthe; ich setzte mich den andern Tag keck an den Flügel und hämmerte meine Stückchen frisch darauf los, und mein Vater rief einmal über das andere: „das hätte ich nicht gedacht!“ – Als das Scherzo zu Ende war, sagte der Kantor ganz freundlich: „das war die schwere Tonart E dur!“ und mein Vater wandte sich zu einem Freunde, sprechend: „Sehen Sie, wie fertig der Junge das schwere E dur handhabt!“ – „Erlauben Sie, Verehrtester,“ erwiederte dieser, „das war ja F dur.“ – „Mit nichten, mit nichten!“ sagte der Vater. „Ei ja doch,“ versetzte der Freund; „wir wollen es gleich sehen.“ Beide traten an den Flügel. „Sehen Sie,“ rief mein Vater triumphirend, indem er auf die vier Kreuze wies. „Und doch hat der Kleine F dur gespielt,“ sagte der Freund. – Ich sollte das Stück wiederholen. – Ich that es ganz unbefangen, indem es mir nicht einmal recht deutlich war, worüber sie so ernstlich stritten. Mein Vater sah in die Tasten; kaum hatte ich aber einige Töne gegriffen, als mir das Vaters Hand um die Ohren sauste: „Vertrackter, dummer Junge!“ schrie er im höchsten Zorn. Weinend und schreiend lief ich davon, und nun war es mit meinem musikalischen Unterricht auf immer aus. Die Tante meinte zwar, gerade daß es mir möglich geworden, das ganze Stück richtig, nur in einem andern Ton zu spielen, zeige von wahrem musikalischen Talent; allein ich glaube jetzt selbst, daß mein Vater Recht hatte, es aufzugeben, mich auf irgend einem Instrumente unterrichten zu lassen, da meine Unbeholfenheit, die Steifheit und Ungelenkigkeit meiner Finger sich jedem Streben entgegengesetzt haben würde. – Aber eben diese Ungelenkigkeit scheint sich, rücksichtlich der Musik, auch auf mein geistiges Vermögen zu erstrecken. So habe ich nur zu oft bei dem Spiel anerkannter Virtuosen, wenn Alles in jauchzende Bewunderung ausbrach, Langeweile, Ekel und Ueberdruß empfunden, und mich noch dazu, da ich nicht unterlassen konnte, meine Meinung ehrlich herauszusagen, oder vielmehr mein inneres Gefühl deutlich aussprach, dem Gelächter der geschmackvollen, von der Musik begeisterten Menge Preis gegeben. Ging es mir nicht noch vor kurzer Zeit ganz so, als ein berühmter Klavierspieler durch die Stadt reiste und sich bei einem meiner Freunde hören ließ? „Heute, Theuerster,“ sagte mir der Freund, „werden Sie gewiß von Ihrer Musikfeindschaft geheilt; der herrliche Y. wird Sie erheben – entzücken.“ Ich mußte mich, wider meinen Willen, dicht an das Pianoforte stellen; da fing der Virtuos an, die Töne auf und nieder zu rollen, und erhob ein gewaltiges Gebrause, und als das immer fortdauerte, wurde mir ganz schwindelig und schlecht zu Muthe, aber bald riß etwas Anderes meine Aufmerksamkeit hin, und ich mag wol, als ich den Spieler gar nicht mehr hörte, ganz sonderbar in das Pianoforte hineingestarrt haben; denn, als er endlich aufgehört hatte, zu donnern und zu rasen, ergriff mich der Freund beim Arm und rief: „Nun, Sie sind ja ganz versteinert! He, Freundchen, empfinden Sie nun endlich die tiefe, fortreißende Wirkung der himmlischen Musik?“ – Da gestand ich ehrlich ein, wie ich eigentlich den Spieler wenig gehört, sondern mich vielmehr an dem schnellen Auf- und Abspringen – und dem gliederweisen Lauffeuer der Hämmer höchlich ergötzt habe; worüber denn Alles in ein schallendes Gelächter ausbrach. – Wie oft werde ich empfindungs-, herz-, gemüthlos gescholten, wenn ich unaufhaltsam aus dem Zimmer renne, sobald das Fortepiano geöffnet wird, oder diese und jene Dame die Guitarre in die Hand nimmt und sich zum Singen räuspert; denn ich weiß schon, daß bei der Musik, die sie gewöhnlich in den Häusern vorführen, mir übel und weh wird, und ich mir ordentlich physisch den Magen verderbe. – Das ist aber ein rechtes Unglück, und bringt mir Verachtung der feinen Welt zuwege. Ich weiß wol, daß eine solche Stimme, ein solcher Gesang, wie der meiner Tante, so recht in mein Innerstes dringt, und sich da Gefühle regen, für die ich gar keine Worte habe; es ist mir, als sey das eben die Seligkeit, welche sich über das Irdische erhebt, und daher auch im Irdischen keinen Ausdruck zu finden vermag; aber eben deshalb ist es mir ganz unmöglich, höre ich eine solche Sängerinn, in die laute Bewunderung auszubrechen, wie die Andern; ich bleibe still und schaue in mein Inneres, weil da noch alle die außen verklungenen Töne widerstrahlen, und da werde ich kalt, empfindungslos, ein Musikfeind gescholten. – Mir schräg über wohnt der Concertmeister, welcher jeden Donnerstag ein Quartett bei sich hat, wovon ich zur Sommerszeit den leisesten Ton höre, da sie Abends, wenn es still auf der Straße geworden, bei geöffneten Fenstern spielen. Da setze ich mich aufs Sopha, und höre mit geschlossenen Augen zu und bin ganz voller Wonne – aber nur bei dem ersten; bei dem zweiten Quartett verwirren sich schon die Töne, denn nun ist es, als müßten sie im Innern mit den Melodien des ersteren, die noch darin wohnen, kämpfen; und das dritte kann ich gar nicht mehr aushalten. Da muß ich fortrennen, und oft hat der Concertmeister mich schon ausgelacht, daß ich mich von der Musik so in die Flucht schlagen ließe. – Sie spielten wol, wie ich gehört habe, an sechs, acht solche Quartetts, und ich bewundere in der That die außerordentliche Geistesstärke, die innere musikalische Kraft, welche dazu gehört, so viel Musik hinter einander aufzufassen, und durch das Abspielen Alles so, wie im Innersten empfunden und gedacht, ins lebendige Leben ausgehen zu lassen. – Eben so geht es mir mit den Concerten, wo oft schon die erste Symphonie solch einen Tumult in mir erregt, daß ich für alles Uebrige todt bin. Ja, oft hat mich eben der erste Satz so aufgeregt, so gewaltsam erschüttert, daß ich mich hinaussehne, um all’ die seltsamen Erscheinungen, von denen ich befangen, deutlicher zu schauen, ja mich in ihren wunderbaren Tanz zu verflechten, daß ich, unter ihnen, ihnen gleich bin. Es kommt mir dann vor, als sey die gehörte Musik ich selbst. – Ich frage daher niemals nach dem Meister; das scheint mir ganz gleichgültig. Es ist mir so, als werde auf dem höchsten Punkt nur eine psychische Masse bewegt, und als habe ich in diesem Sinne viel Herrliches componirt. – Indem ich dieses so für mich niederschreibe, wird mir angst und bange, daß es einmal in meiner angeborenen, unbefangenen Aufrichtigkeit mir über die Lippen fliehen könnte. Wie würde ich ausgelacht werden! Sollten nicht manche wahrhaftige musikalische Bravos an der Gesundheit meines Gemüths zweifeln? – Wenn ich oft nach der ersten Symphonie aus dem Concertsaal eile, schreien sie mir nach: „Da läuft er fort, der Musikfeind!“ und bedauern mich, da jeder Gebildete jetzt mit Recht verlangt, daß man, nächst der Kunst, sich anständig zu verbeugen, und eben so auch über das, was man nicht weiß, zu reden, auch die Musik liebe und treibe. Daß ich nun eben von diesem Treiben so oft getrieben werde, hinaus in die Einsamkeit, wo die ewig waltende Macht, in dem Rauschen der Eichenblätter über meinem Haupte, in dem Plätschern der Quelle, wunderbare Töne anregt, die sich geheimnißvoll verschlingen mit den Lauten, die in meinem Innern ruhen und nun in herrlicher Musik hervorstrahlen – ja, das ist eben mein Unglück. – Die entsetzliche peinliche Schwerfälligkeit im Auffassen der Musik schadet mir auch recht in der Oper. – Manchmal freilich ist es mir, als würde nur dann und wann ein schickliches musikalisches Geräusch gemacht, und man verjage damit sehr zweckmäßig die Langeweile, oder noch ärgere Ungethüme, so wie vor den Karavanen Cymbeln und Pauken toll und wild durch einander geschlagen werden, um die wilden Thiere abzuhalten; aber wenn es oft so ist, als könnten die Personen nicht anders reden, als in den gewaltigen Accenten der Musik, als ginge das Reich des Wunderbaren auf, wie ein flammender Stern – dann habe ich Mühe und Noth, mich festzuhalten in dem Orkan, der mich erfaßt und in das Unendliche zu schleudern droht. – Aber in solch eine Oper gehe ich immer und immer wieder, und klarer und leuchtender wird es im Innern, und alle Gestalten treten heraus aus dem düstern Nebel und schreiten auf mich zu, und nun erkenne ich sie, wie sie so freundlich mir befreundet sind und mit mir dahinwallen im herrlichen Leben. – Ich glaube Glucks Iphigenia gewiß funfzigmal gehört zu haben. Darüber lachen aber mit Recht die echten Musiker und sagen: „Beim ersten Mal hatten wir Alles weg, und beim dritten satt.“ – Ein böser Dämon verfolgt mich aber, und zwingt mich, unwillkührlich komisch zu seyn und Komisches zu verbreiten, rücksichtlich meiner Musikfeindschaft. So stehe ich neulich im Schauspielhause, wohin ich aus Gefälligkeit für einen fremden Freund gegangen, und bin ganz vertieft in Gedanken, als sie gerade (es wurde eine Oper gegeben) so einen nichtssagenden, musikalischen Lärm machen. Da stößt mich der Nachbar an, sprechend: „Das ist eine ganz vorzügliche Stelle!“ Ich dachte, und konnte in dem Augenblick nichts Anderes denken, als daß er von der Stelle im Parterre spräche, wo wir uns gerade befanden, und antwortete ganz treuherzig: „Ja, eine gute Stelle, aber ein bischen Zug weht doch!“ – Da lachte er sehr, und als Anekdote von dem Musikfeind wurde es verbreitet in der ganzen Stadt, und überall neckte man mich mit meiner Zugluft in der Oper, und ich hatte doch Recht. –

    Sollte man es wol glauben, daß es dessen ungeachtet einen ächten, wahren Musiker gibt, der noch jetzt, rücksichtlich meines musikalischen Sinnes, der Meinung meiner Tante ist? – Freilich wird Niemand viel darauf geben, wenn ich gerade heraussage, daß dies kein Andrer ist, als der Kapellmeister Johannes Kreisler, der seiner Phantasterei wegen überall verschrieen genug ist, aber ich bilde mir nicht wenig darauf ein, daß er es nicht verschmäht, mir recht nach meinem innern Gefühl, so wie es mich erfreut und erhebt, vorzusingen und vorzuspielen. – Neulich sagte er, als ich ihm meine musikalische Unbeholfenheit klagte, ich sey mit jenem Lehrling in dem Tempel zu Sais zu vergleichen, der, ungeschickt scheinend, im Vergleich der andern Schüler, doch den wunderbaren Stein fand, den die Andern mit allem Fleiß vergeblich suchten. Ich verstand ihn nicht, weil ich Novalis Schriften nicht gelesen, auf die er mich verwies. Ich habe heute in die Leihbibliothek geschickt, werde das Buch aber wol nicht erhalten, da es herrlich seyn soll, und also stark gelesen wird. – Doch nein; eben erhalte ich wirklich Novalis Schriften, zwei Bändchen, und der Bibliothekar läßt mir sagen, mit dergleichen könne er immer aufwarten, da es stets zu Hause sey; nur habe er den Novalis nicht gleich finden können, da er ihn ganz und gar als ein Buch, nach dem niemals gefragt würde, zurückgestellt. – Nun will ich doch gleich sehen, was es mit den Lehrlingen zu Sais für eine Bewandtniß hat.




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