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Guido Hammer
Aus dem Fuchsleben.
Hassen sollte man den Liebenswürdigen – und lieben muß man Dich, Du Hassenswerther!
Dich meine ich, Du schlauester, ränkevollster Gauner der Thierwelt, der bald als Cavalier, bald als gemeiner Lump, dann wieder als ehrsamer Biedermann oder als frecher Räuber auftritt gerade, wie sich's eben paßt. Schlau jeder Gefahr ausweichend, unbekümmert, wie es scheint, ob sein Ruf darunter leidet und er als Feigling gilt, ist er, wenn es zum Treffen kommt, ein tapferer Kämpfer, und wahrlich nicht leicht macht er seinem Erzfeind, dem todesmuthigen Dachshund, den Sieg, der wohl oft zweifelhaft bliebe, stände letzterem nicht der überlegene Mensch zur Seite. Ja, noch mehr Muth, als im offenem Kampfe mit Feinden, beweist er im Kampfe gegen sich selbst; denn nicht zu selten kommt es vor, daß ein Fuchs eher Hungers, stirbt, als einen Brocken anrührte, den er von Menschen als Lockspeise für ihn hingelegt glaubt. Oder auch: wenn er sich hat überlisten und fangen lassen, so ist er, wie die Erfahrung immer auf's Neue lehrt, im Stande, sich selbst zu amputiren, um so mit Verlust eines Lauftes dem verderblichen Eisen zu entgehen. Außer dieser heroischen Tugend hat er noch manche andere, besonders die, ein treuliebender Gatte und ein sorgliches Familienhaupt zu sein. Freilich macht er in diesem Falle den jesuitischen Grundsatz: „der Zweck heiligt das Mittel,“ nur allzusehr geltend; denn gerade um deswillen wird er in der Zeit der ehelichen und väterlichen Pflichttreue der Schrecken seiner Mitgeschöpfe, der sich bis auf die harmlosesten „Springinsfeld,“ die zirpenden Grashüpfer oder einen summenden Käfer und krabbelnden Wurm erstreckt. An ihrem Erhaschen nämlich ertheilt er seiner lungernden Brut den ersten Unterricht im schlauen und raschen Erbeuten, wobei er deren angeborenen Trieb des Mordens mit sarkastisch emporgezogenen Lefzen gleichsam belächelt.
Versuchen wir einmal, an das Raubnest dieses rothhaarigen Freibeuters heranzuschleichen, um ihn möglicher Weise in seinem Familienleben zu belauschen. Mit der gehörigen Vorsicht, namentlich wenn das saubere Elternpaar auswärts ist und der Jagd obliegt, um die hoffnungsvolle, nimmersatte Jugend zu befriedigen, kann man schon auf günstigen Erfolg für die Beobachtung rechnen. Am besten ist’s, wenn man Gelegenheit hat, sich in der Nähe des Baues, natürlich außer Wind, auf einen Baum zu setzen, um von dieser Kanzel aus Rundschau zu halten und in Augenschein zu nehmen, was da kommen wird. Sind die Jungen bereits vor dem Bau, so werden sie allerdings, bei dem Geräusch, das man nicht ganz vermeiden kann, sofort verschwinden; denn sie scheinen den gemessensten Befehl zu haben: beim geringsten Anschein von Gefahr in den Bau zu flüchten. Jedoch nicht lange leidet es die leichtsinnige Teufelsbrut unter der Erde; zumal, wenn eben die Maisonne mit ihren wärmenden, goldenen Strahlen verlockend auf den Tummelplatz vor der Hauptröhre scheint. Aufgepaßt! Behutsam streckt jetzt einer der Neugierigsten von der jugendlichen Räuberbande den Kopf aus dem Portale ihrer Spelunke. Wie kleine grüne Lichterchen flammen die funkelnden Seher im niedlichen, weichen Köpfchen aus dem dunkeln Eingange des Baues hervor. Weiter und weiter wagt sich der schelmische Pfiffikus heraus, bis er vor dem Baue ist, den einen Hinterlauft noch in der Röhre, um augenblicklich umwenden und in die schützende Festung zurückkehren zu können, sollte es ihm noch nicht ganz geheuer erscheinen. Geraume Zeit bleibt er in dieser Stellung, während man hinter ihm ein zweites Augenpaar im Dunkel erglänzen sieht. Nichts Verdächtiges bietet sich ihm dar und ein vorüberschwirrender Grashüpfer gibt ihm Veranlassung, mit einem Satze nach demselben auf dem Vorplatz zu springen. Sofort folgen ihm drei andere kleine Taugenichtse in purzelnden Sprüngen nach, und sich kollernd und überstürzend sind sie bald ein Knäuel, einer des andern Ruthe haschend oder sonst sich beißend und zerrend. Dann sich auseinanderwickelnd, fahren sie blitzschnell wieder zum Baue; aber schon im nächsten Augenblicke sieht man sie abermals erscheinen und toller als zuvor sich tummeln, so daß man merkt, nicht etwa eine gewohnte Gefahr habe sie in den Bau getrieben, sondern vielmehr das Bedürfniß eines Exercitiums für künftige Fälle, was gelegentlich mit als Spiel getrieben wurde.
Jetzt springt einer nach einem herumgaukelnden Schmetterlinge; ein anderer zerrt und zaust an einem Entenflügel herum, der von der letzten Mahlzeit her noch auf dem Platze liegt; plötzlich schießt ein dritter herbei, reißt ihn weg und schleudert ihn empor, um ihm nachzuspringen und in der Luft zu erhaschen; aber der vierte, sein jüngstes Brüderchen, kommt ihm zuvor, und eilt wie mit einem Raube davon, nun verfolgt von der ganzen Sippschaft – da hört man es in einer gewissen Entfernung leis und leiser bellen, und augenblicklich machen sie Halt. Es war das Signal der herannahenden Mutter! Alle lauschen sie der Gegend zu, woher die Ersehnte kommt, und siehe – mit einem Häschen erscheint die sorgliche Alte.
Keckernd eilt ihr die Schaar entgegen. Alles zerrt nun am Raube herum, so daß die Alte kaum bis zum Baue kommen kann, vor dem sie sich unter den gierigen Nimmersatts niederläßt, um das Mahl unter sie zu theilen. Bald ist es unter Zank und Hast verzehrt und da es heute nicht die erste Beute ist, so kann Frau Reinecke gelassen warten, ob vielleicht der Herr Gemahl noch etwas bringt, und sich’s bequem machen. Behaglich streckt sie sich im schönen Frühlingssonnenschein dahin. Freilich lassen ihr die Rangen keine Ruhe. Einer tummelt sich auf ihrem Rücken herum, während ihr ein anderes Lieblingskind am Lauscher zerrt, ein drittes gar sie an der Kehle würgt, wogegen das vierte an der beweglichen Lunte eines seiner Geschwister Fangstudien macht. Halb wohlgefällig, halb unwirsch über die tollen Streiche ihrer Bande, erwidert sie halb den Spaß, halb wehrt sie ihn ab; aber es hilft nichts, sie muß sich’s schon gefallen lassen. Endlich erlöst sie der Gatte durch seine Dazwischenkunft. Was wird er mitbringen? Wie? Kommt er diesmal leer nach Hause? Denn ein armseliges, noch lebendes Mäuslein kann kaum für einen Bissen gelten; es soll auch nur zur Lection dienen. Mit welcher Begierde drängen sie sich heran, ihr Schlachtopfer in Empfang zu nehmen, das, aus dem Rachen des alten Räubers losgelassen, die Flucht versucht, aber sofort von der Rotte verfolgt und vom Gewandtesten auf nicht eben zärtliche Art wieder eingefangen wird, worauf die Andern es ihm zu entreißen trachten, so daß das arme kleine Geschöpf, von Maul zu Maul gerissen, schließlich halb todt einem der jugendlichen Raubgesellen zur Beute wird, der es dann nicht ohne abermalige verschiedene Hindernisse verzehrt.
Da nahen Tritte, und augenblicklich ist die ganze Klerisei verschwunden. Ungefährliche Kinder sind es, die im Dickicht nach Pilzen umherstreifen und zufällig an den Bau kommen. Die Rudera der raubgräflichen Küche reizen sie, sich den Bau näher anzuschauen, und dieses ist genug, um die Insassen zum Auszug aus ihrer bisher unberührt gebliebenen Burg zu bestimmen. Sobald wieder Ruhe geworden ist, recognoscirt der alte schlaue Räuber, ob Ausfall und Flucht bereits thunlich sei. Nichts rührt sich mehr, und der Wind verräth kein verdächtiges Menschenkind mehr. Soll er es darauf ankommen lassen, bis die Gefahr sich vielleicht in drohender Gestalt wiederholt? Nein, ohne Zögern benutzt er den günstigen Augenblick. Aus einer vom Hauptbau ziemlich entlegenen Fluchtröhre sieht man nun den Burgherrn, hinter ihm die Dame, herausschlüpfen, denen eiligst die Familie folgt. Vorsichtig, ohne die Flucht zu überstürzen, verschwinden sie in dem den Bau umgebenden Dickicht, um dort in einer der verwahrtesten Stellen die schützende Nacht zu erwarten, in deren Dunkel das Familienhaupt die Gattin und die edlen Sprößlinge aus der interimistischen Waldwohnung herausführt, um sie unmittelbar in einem Kornfeld einzuquartiren. Hier werden noch in derselben Nacht einige Fluchtröhren ausgeführt, in denen das Feldlager bezogen wird. Sind doch die Jungen bereits so weit, um selbstständig jagen zu lernen, und dazu eignet sich kein Revier besser, als der neue Sommeraufenthalt. Ueberlassen wir ihn hier einstweilen seinen Freuden und Leiden. Wir sehen ihn schon ein ander Mal wieder, wenn keine Familiensorgen sein raffinirtes Haupt bedrücken, und nehmen dann Veranlassung zu einem neuen Bilde.