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Guido Hammer
Aus dem Fuchsleben.
Thaufrisch dämmert ein Septemberfrühmorgen herauf. Nur im Osten deutet ein lichter Schein am wolkenlosen Himmel an, daß die Sonne bereits im Kommen ist. Schon wird es heller und heller und von fern hört man es in den Wipfeln des Waldes rauschen, bis uns der leicht beschwingte Morgenwind wohlthätig Augen und Schläfe umspielt. Weiter gen Westen eilt der frische, luftige Vorbote der aufgehenden Sonne, im Fluge all’ die Gräser, Eriken und die blauen Glockenblümchen auf duftender Waldblöße anflüsternd, um sie aus nächtlichem Schlummer zu erwecken; aber neigend und nickend begrüßen ihn die bereits Erwachten. Auch die alten Tannen am Saume des Gehaues werden durchrauscht und wie ein Halleluja tönt’s durch die ehrwürdigen Häupter weithin in die blaue Ferne des Waldes. Es verhallt, lautlose Stille herrscht wieder. Die Nebel ziehen über die blüthengeschmückten Blößen dahin und hängen sich, Perle um Perle, an Halm und Zweig, wie an das kunstvolle Zirkelnetz verschiedener Spinnen oder an das ausgebreitete Gespinnst, das im Herbste weite Strecken überzieht, um später, von der Sonne gelöst und emporgezogen in langen Fäden, wie geheimnißvolle Zauber wirkend, dahinzuschweben. Um Halm und Nadel und leichtes Gewebe funkeln und blitzen in wunderbarer Farbenpracht die reinen Tropfen, die von der nun im reinsten Aether glänzenden Sonne geküßt werden. Doch fast mit wehmüthigem, wenn auch nicht minderem Genuß schweift das Auge über das sonnendurchglühte, blühende, honigduftende Haidekraut und über das in kosender Morgenluft wehende, fahle Riedgras hindurch das man im perlenden Thau lange Streifen – die Fährte von mancherlei Gewild – verfolgen kann. Ueber Anflug und Dickichte hinweg bleibt der Blick am Saume des Hochwaldes haften, dessen Rand bereits in goldigem Scheine erglüht, während tief drinnen noch mystisches Dunkel herrscht. Außen ist überall schon Leben geworden. Vögel aller Gattungen, meist nach ihren Arten zusammengeschaart, durchziehen in schnellem Fluge die Luft, oder flattern und hüpfen durch die Dickichte und lassen all’ ihre verschiedenen Stimmchen ertönen. Da lockt es und pfeift es und flötet es so lieblich und heimisch und doch wieder so verlockend, mit den kleinen Pilgern hinwegzuziehen in jene schönen, fernen Länder, wo sie den Winter über weilen werden. Den gellenden und klagend verhallenden Ton des Spechtes trachtet kreischend der Nußheher zu überbieten. Summende Bienchen und einzelne brummende Hummeln durchstreifen ebenfalls bereits die blühende Haide und der unermüdliche Gesang der zirpenden Grille umspinnt gleichsam, so weit das Ohr reicht, die Natur mit seinem Einerlei. Dies ist der Schauplatz, auf dem wir unsere Beobachtungen beginnen, und siehe, wir haben nicht lange zu warten.
Aus einem Graben, der auf das Gehau mündet, kommt jetzt der Schlaukopf gezogen, den wir suchen – ein alter Fuchs. Er macht Halt, um den Wind einzuholen, und äugt überall herum ob’s auch geheuer, eh’ er es wagen darf, über die vor ihm liegende Fläche zu wandeln. Der Sprung eines Grashüpfers, den er mit scharfem Lauscher gehört, läßt ihn sich blitzschnell im Graben niederducken, denn nie läßt er die äußerste Vorsicht außer Acht, wäre sie auch einmal unnöthig. Langsam sich wieder erhebend, scheint er nun so weit sicher, daß nichts Verdächtiges in der Nähe sei. Mit einer gewissen Sorglosigkeit gibt er sich dem Genusse hin, im schönen warmen Sonnenschein, der ihm nach der Morgenfrische doppelt wohl thut, dahin zu schlendern. Bald nimmt er eine Wildfährte an, der er mit seiner Spitzbubennase eine Weile folgt; dann springt er plötzlich ab, um ein unkluges Mäuslein zu haschen, das er als Nachfrühstück zu sich nimmt, da er, bereits vom Felde heimkehrend, dort einen halbwüchsigen Hasen verspeist hat. Er ist deshalb auch in bester Laune. Hätte er Arme, um sie auf den Rücken zu legen, er würde es jetzt thun, mit solcher Behaglichkeit bewegt er sich vorwärts. Kein Mausloch entgeht ihm dabei; in jedes steckt er seine raffinirte Nase hinein, um es dann aufzuscharren, daß das Erdreich hinter ihm herumstiebt. Kein Vogel fliegt dahin, dem er nicht einen giftigen, verlangenden Blick nachsendete. Jetzt hüpft er wie im Muthwillen auf einem alten Stock, der im Gehau steht, und bleibt ein Weilchen sitzen, um nach Allem, was sich um ihn regt, sei es ein Bienchen, ein Käfer oder Schmetterling, zu schnappen. Nachdem er sich in dieser Weise hinlänglich vergnügt, geht’s wieder fort. Bald trabt er, bald schleicht er ein Stück dahin, sichert und duckt sich und geht dann spielend weiter. Rasch aber fährt er plötzlich herum, und hinter einem Büschchen verschwindend, braucht er dasselbe als Deckung, um dem nahen Dickicht zuzueilen. Wohlbehalten erreicht er es auch, obgleich zwei schnell auf einander folgende Schüsse beweisen, daß er diesmal keiner eingebildeten Gefahr entronnen. Ein leider nicht ganz ruhiger Schütze hatte am nahen Holzrande mit pochende Herzen all die Manöver vom Graben her bis fünfzig Schritt an sich heran mit angesehen und, seines Zieles nun schon ganz gewiß, durch eine unglückliche Bewegung des Fuchses Vorsicht erregt, um das leere Nachsehen zu haben.
Aber „heute mir, morgen dir,“ sagt das Sprüchwort. Ein andermal muß der Schelm selbst als Jäger ein getäuschtes Gesicht machen, was ihm nicht selten bei der Jagd und namentlich mit Federwild, besonders aber mit Wassergeflügel, begegnet, obwohl er einen solchen Jagdzug nicht ohne verdoppelten Aufwand von Schlauheit unternimmt. Die Gelegenheit, ihn zu belächeln, findet sich, wenn wir uns dort nach dem im Morgenscheine spiegelblank ausgebreiteten stillen Waldteiche begeben.
Ein Bild der Verschmitztheit tritt unser lüsterner Patron aus dem Waldesdunkel hervor und schleicht nach dem Wurzelstocke einer vom Sturme umgeworfenen alten Tanne, die sich mit ihrem mächtigen Gezweig halb in den Teich versenkt hat, heran, um diesen vorerst von hier aus recognosciren zu können. An den Stamm geschmiegt, hebt er den Kopf nur eben so weit empor, als sein Auge im Stande ist, zuvörderst die entferntest liegenden Ränder des schilfbewachsenen Wassers zu überstreichen und sich für den weitern Gang zu orientiren. Dann läßt er unmerklich sein edles Haupt höher und höher auftauchen, um die ihm zur Seite liegenden Ufer zu durchspähen, bis endlich sein Blick unmittelbar unter seinem Versteck das Terrain zu sondiren vermag. Nichts hat sich für den augenblicklichen Fang gezeigt; nur ein Paar Bläßenten rudern, mit ihrem melancholischen Tone die Stille unterbrechend, in der Mitte des Teiches dem Schilfrande zu, lange silberne Furchen durch die spiegelglatte Blänke ziehend. Aber außerdem hat der Schelm hinter einem bemoosten Steine in der Nähe etwas plätschern gehört und gleichzeitig davon Wind bekommen, und da ihm das Terrain zum Anschleichen günstig erscheint, richtet er sein Augenmerk dorthin.
Leicht und leise verschwindet er rückwärts hinter der Wurzelwand und schnürt sich am Holzrande seitwärts nach gedachtem Steine zu. Leise, Lauft um Lauft setzend, schleicht er heran und je näher er kommt, je mehr schmiegt er sich, so daß er zuletzt völlig kriechend am Ziele anlangt. Wieder schiebt er sich gleich einer Schlange vorwärts, bis er das Wasser übersehen kann. Seine vor Verlangen glitzernden Seher entdecken immer noch nichts, als unmittelbar unter dem Steine die plätschernden, kreisenden Schwingungen des Wassers, die so eben der Sprung eines Frosches verursacht hat. Ein paar Federchen aber, die sich auf den immer größer werdenden Wasserringen schaukeln, scheinen ihm zu mancherlei Reflexionen Anlaß zu geben, die sich in einem höchst verdrießlichen „Zu spät!“ concentriren. In scharfen Zügen steht es auf seinem Gesicht geschrieben, während dicht neben ihm aus dem Geröhricht ein Entvogel aufsteigt und vor ihm dahin fliegt, so daß der Geprellte unwillkürlich noch mit halbem Oberkörper emporfährt, ohne jedoch den Sprung nach dem ersehnten Ziele zu wagen; denn er hat nicht Lust, noch dazu ohne Aussicht auf Erfolg in’s Wasser zu plumpen, gleich dem Frosch, dessen Leidenschaft für das feuchte Element er keineswegs theilt. Er übersieht wohl einmal einen nassen Fuß, wenn es gilt, aber sich bis über den Kopf in’s Wasser zu stürzen, das würde der wasserscheue Patron nicht um zehntausend Enten thun. Ein Blick, in dem sich Sehnsucht, Aerger und Beschämung, einen so nahe gehabten guten Bissen sich an der Nase vorüberfliegen zu sehen, mischen, verräth des Gauners innere Stimmung, deren er jedoch sehr bald Herr zu werden versteht.
Nachdem er noch so lange der ihm entgangenen Ente nachgeschaut, bis sie am jenseitigen Teichrande auf der Blänke eingefallen und schwimmend im Schilfgras, das dicht am Ufer zwischen Kaupen steht, verschwunden ist, trabt er am Holzrande des Teiches hin, als habe er niemals in seinem Leben an Enten gedacht. Mit ganz absonderlicher Laune, wie es scheint, geht er hier so dicht an einem Stamme vorüber, als wäre dies der einzige Weg, sein Leben zu retten; bis zum Umfallen schmiegt er sich daran hie; dort klemmt er sich zwischen zwei eng nebeneinander stehenden Stämmen durch, als beabsichtigte er, sich zu einer Silhouette zu pressen; oder er geht so stracks auf einen Gegenstand los, sei es Baum, Strauch, Stein, oder sonst etwas, als wolle er mitten hindurch; aber in der unmittelbaren Nähe biegt er auf einmal mit einer Nonchalance herum, als wäre der Gegenstand für ihn gar nicht da. Auf diese Weise umkreist er ziemlich schnell den Teich bis ungefähr zu der Stelle, wo vorhin die entwischte Ente wieder einfiel. Nun fängt er jedoch wieder an zu kriechen. Jeden Büschel Gras und Kaupe benützt er, sich an das Wasser heran zu pirschen, und dabei scheut er auch ein nasses Haar nicht. Mit ungeahnter Behutsamkeit im Gras und Schilf kriechend, hat er bereits das Wasser erreicht, das vom Teich hereingetreten. Jetzt ist er mit kaum bemerkbarer Bewegung bis an eine Kaupe herangerückt, um die herum er die spitze Nase steckt – plötzlich springt er vorwärts. Der quakende Laut, sowie der heftige Flügelschlag in’s Wasser beweisen, daß er diesmal nicht fehl speculirt und seine Beute erfaßt hat. Ob das Opfer die nämliche Ente ist, die ihm am jenseitigen Ufer entgangen war? Immerhin darf man’s glauben und annehmen, daß der Erzgauch zugleich eine kleine Privatrache ausgeübt. Seine Physiognomie wenigstens hat einen so dämonisch hämischen und dabei so grinsend freundlichen Ausdruck bekommen, wie er nur jemals einem rachsüchtigen Schurkengesichte aufgeprägt war.
Behend eilt er nun an das sonnige, warme Ufer, wo er den nassen, triefenden Balg abschüttelt und die bereits gewürgte Ente niederlegt, um sie aber alsbald auf’s Neue zu packen und nach einem nahen sonnigen Haidehange, der ringsum von Dickicht eingeschlossen ist, in Sicherheit zu bringen. Hier verzehrt er auf Haide und trockenem Moos, von der Herbstmorgensonne behaglich umschmeichelt, in aller Ruhe sein delicates Mahl. Oftmals arbeitet ihm zu einem solchen – und nach Wassergeflügel leckert es ihm immer mit ganz vorzüglichem Appetit – der Mensch selbst in die Hände oder vielmehr in den Rachen, indem eine Ente, die dem Jäger bekannt ist, leichter zu schießen, als ohne guten Hund aus dem Wasser zu bekommen ist, solche aber nach dem Verenden vom Winde an’s Ufer getrieben wird, wo sie Meister Reinecke bei seinem Pirschgange als bequeme Beute findet. Das sind denn so kleine gelegentliche Glücksfälle, die er sich zur Entschädigung für manche Täuschung zu nutze macht.
Unser Lungerer versteht sich auf alle Vortheile und Fertigkeiten des edlen Waidwerks, das er als der gewandteste von allen Wilddieben ausübt, und bei seinem lebhaften Naturell besitzt er zugleich die größte Besonnenheit und Ruhe. Er weiß zur rechten Zeit seine Leidenschaften zu beherrschen, um ihrer Befriedigung desto sicherer zu sein. Das zeigt sich insbesondere auch, wenn er auf dem Anstand steht oder, richtiger gesagt, kauert. Er ist z. B. an einem Feldrande, wo er geduckt, fast an den Boden geschmiegt, in dürren Schmielen verborgen, mit gespitzten Lauschern und funkelnden Sehern dem harmlosen Lampe aufpaßt. Wohl hat der Schelm sich einen sichern Wechsel ausgesucht und auch den Wind gut observirt; denn nicht lange hat er gelauert, da kommt das Opfer daher gehöppelt. Wär’s möglich, so schmiegte sich der Rothpelz noch tiefer an den Boden, und doppelt feurig werden die grünen Seher, trotzdem daß er sie zusammenzwinkert, um sie nicht zu Verräthern werden zu lassen. Leise zuckt er mit den Lefzen und seiner unvergleichlichen Spürnase, wie im Vorgefühl des gewissen Genusses. Inzwischen nähert sich, hier ein Kleeblättchen, dort ein anderes saftiges Kräutlein naschend, der unglückliche Lampe. Ein leises Heben der weißen Spitze an der Standarte Reinecke’s läßt erkennen, daß er sich fertig zu machen anfängt. Das Hintertheil kaum merklich emporrichtend, rüstet er sich zum Sprunge, und genau hat er es abgepaßt, bis der Hase für ihn erreichbar ist; – ein einziger langer Satz, und er hat sein Schlachtopfer gefaßt, das er jetzt unbarmherzig niederwürgt. Nach echter Wilddiebsart verschwindet er augenblicklich mit seiner Beute vom Orte seiner That, um unberufener Neugier, die den Klageruf des Unbescholtenen etwa gehört, aus dem Wege zu gehen, und seinen Braten zu verschmausen, der nach Reinecke’s Kochbuch durchaus keiner Zuthat bedarf. Vorkommenden Falles überhebt er sich auch wohl der Mühwaltung, irgend ein schmackhaftes Thier erst todt zu beißen, und zieht vor, es bei lebendigem Leibe „anzuschneiden.“
Glaube man jedoch nicht, daß er sich mit der kleinen Jagd begnügt, obwohl er dieselbe gern betreibt; o nein, – sein Sinn steht höher! Auch die mittle und selbst hohe Jagd übt er aus, indem er nicht nur Rehkälbchen – im Winter sogar alte Rehe – sondern auch Wildkälbchen und Frischlinge erlegt, und gerade hierin der Wildbahn am gefährlichsten wird. Ebenso verhält es sich mit dem ihm vorzugsweise schmackhaften Federwildpret, dem er gleichfalls von Klein- bis Hochwild hinan nachjagt, wobei manche Birk- und Auerhenne in der Brutzeit ihm anheim fällt. Uebrigens hält er, wie bei einem so durchtriebenen Pfifficus vorauszusetzen, eine alte Klugheitsregel: „wer das Kleine verachtet, erhält das Große nicht,“ in Ehren, namentlich, wenn das Kleine werth ist, den Gaumen zu reizen. Darum sieht man den Gourmand, wenn der Morgen graut, öfter den Dohnensteg passiren und die Krammetsvögel, die sich etwa gefangen haben, aus den Schlingen nehmen, notabene, wenn sie nicht zu hoch hängen, und er sie noch im Sprunge erreichen kann.
Nichts ist, wie man sieht, seinem Cavaliermagen zu gut, wie er sich denn vollkommen für berechtigt hält, auch mitunter einen Fasan zu verzehren. Mit Recht sagt daher der französische Jagdschriftsteller Valmont de Bomare: „was der Wolf für den Bauer, ist der Fuchs für den Edelmann.“
Auf diese Weise treibt es der fahrende Ritter, so lange es geht. Bald lebt er im Wald, bald auf der Flur; heute bleibt er im Dickicht sitzen, morgen fährt er in einen Bau oder in eine Fluchtröhre ein, oder – liegt wohl auch im schützenden Kraut eines Kartoffelfeldes hinter den Furchen, wo freilich zuweilen für ihn die Gefahr eintritt, daß ihm auf der Hühnersuche die Jäger und die Hunde auf den Pelz kommen und, falls ihm nicht, was oft genug geschieht, die Ueberraschung der Schützen durchhilft, sein improvisirtes Quartier das Leben kostet.
Je weiter die Jahreszeit vorrückt, desto schlimmer wird’s nun für den Musje, da sein Balg sich mit jedem Tage bessert; denn der logische Satz: „Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg“ läßt die Grünröcke allerdings Alles aufwenden, um dem zwar das ganze Jahr Vogelfreien jetzt ganz besonders Abbruch zu thun. Kommt vollends der erste Schnee, wo Füchsleins Pfiffigkeit nicht mehr die gewohnte Wirkung hat, da die Fährte ihn auf Schritt und Tritt verräth, so fängt gar seine schlimme Zeit an. Denn abgesehen davon, daß Schmalhans Küchenmeister bei ihm wird, ist er auch noch ein unermüdlich verfolgter Märtyrer. Da wird er gekläppert, wenn er im Dickicht steckt; mit seinem Erzfeind, dem Dachshund, aus dem Baue getrieben, wenn er eingefahren, oder, wenn’s nur eine Fluchtröhre ist, ausgeräuchert oder sogar gekrätzert, was die grausamste und menschenunwürdigste aller Arten ist, seiner sich zu bemächtigen. Auch kirrt man den durch Noth Verlockten an Aas, um ihn dann um so gewisser aus dem sichern Versteck zu tödten. Was gibt’s da nicht Alles für den Schlaukopf zu beobachten! Da gilt’s, den verführerischsten Brocken von einer Katze oder einer andern Lieblingsspeise trotz heftigstem Hunger nicht eher anzurühren, bis die vollste Gewißheit erlangt ist, daß nicht Gefährliches dabei sei; und selbst dann noch nimmt der jetzt arme Proletarier seinen Fund mit äußerster Vorsicht auf. Doch diesmal war sie unnöthig, ebenso bei einem andern Brocken, der sich ihm darbietet – bei einem dritten, vierten u. s. w. Gefahrlos hat er sie alle verzehrt, da findet er noch einen letzten; auch ihn nimmt er – und hängt am Eisen! Mancher hat sich so gefangen, und ist vom Jäger durch einen Schlag auf sein spitzfindiges Organ, die Nase, getödtet worden, wenn er nicht den Muth gehabt, das gefangene Glied abzubeißen und, war’s ein Lauft, wie einen ausgezogenen Stiefel hängen zu lassen, zum Wahrzeichen, daß sich ein alter Fuchs wohl einmal ertappen, aber nicht festhalten läßt. Ja, die Sage geht, der Stoicismus dieser Teufelsbestien sei bisweilen so weit gegangen, daß sie entweder vor dem ersten aufgefundenen Brocken oder wenigsten vor dem Stellbrocken, wenn das Eisen nicht gut verwittert gewesen, aus Mißtrauen verhungert seien.
Tritt bei Schnee Thauwetter ein, und friert es schnell darauf, so ist für unsern nichtsachtenden Räuber Festtag; denn wenn das Wild und namentlich die Rehe durch die Eiskruste brechen, und sich dabei die Läufte verwunden, wodurch sie an schneller Flucht gehindert werden, so jagt er als Cavalier par force und zwar dann oft in Gemeinschaft seines Gleichen.
Im Februar regt sich in ihm die Liebesgluth; da sagt man: „der Fuchs fängt an zu ranzen.“ Doch auch in dieser Periode bewahrt sich der Alles berechnende Schlaukopf seine volle Besinnung, ohne sich der Leidenschaft blind zu überlassen, wie mehr oder weniger alles Wild, und namentlich der Auerhahn, zu thun pflegt. Um Erhörung seiner heißesten Wünsche mit leisem Kekkern flehend, muß er sich dabei nach Hundeart gegen die Mitbewerber wehren, bis er sie abgebissen hat oder durch eine andere liebenswürdige Füchsin von den Unberufenen befreit wird, die ihr nun den Hof machen. Dann sieht man sie Nachts im Mondenschein, zu vier bis sechs, heiser bellend über die Blößen traben. Einsame Liebespaare treten schlau einander in die Fährten, so daß, wenn Schnee liegt, man weite Strecken nur einen Fuchs abspüren kann, bis plötzlich zwei Fährten sichtbar werden, sich wieder vereinigen und so in einem Dickicht oder Geröhricht, in einer Fuchsröhre oder einem Baue verschwinden. An solchen Orten werden die bräutlichen Feste gefeiert, die allerdings nach einem Spurschnee oft auf das Verderblichste enden, wenn Mensch und Hund als ungeladene Gäste vor dem Hochzeitshause erscheinen. Wie wird da die kurze Flitterzeit einer Nacht durch den krummbeinigen Dachshund so verhängnißvoll gestört! Mit tollem Ingrimm dringt er auf das neuvermählte Paar ein, und keift und beißt so lange, bis die poetisch Gestimmten der rohen Macht weichen, und durch die einzige ihnen offen gelassene Röhre zu entschlüpfen trachten, aber ach, aus dem Regen in die Traufe kommen. Denn kaum langt die junge Frau Reinecke im Freien an, als schon das tödtliche Blei des Jägers sie trifft. Gedrängt vom unverwüstlichen Dachs, folgt der verzweifelte Gatte, um dem gleichen Schicksal zu verfallen.
Erst wenn das Frühjahr kommt, hebt Fuchsens gute Zeit wieder an. Nicht nur, daß es allerhand zu leben gibt, wie verschiedenes junges, leicht zu fangendes Wild, ingleichen brütende Birk- und Auerhühner; auch das Selbstinteresse der Jäger läßt ihn ungeschorner, da der Balg nichts mehr gilt, was freilich, beiläufig gesagt, einen Jäger, der nicht in jedem Fuchs einen Speciesthaler herumlaufen sieht, gerade jetzt am wenigsten hindert, dem gefährlichen Räuber nachzustellen, dem in dieser Zeit der Raub am jungen Wild viel leichter wird, als sonst. Dazu kommt, daß Madame ihr Wochenbett bereitet, und was ein solcher Hausstand bedeutet, haben wir schon früher kennen gelernt.
So sind wir denn wieder beim Ausgang angelangt. Indem wir Reinecke’s Treiben ein Jahr hindurch verfolgten, haben wir uns vor Allem vor der Versuchung gehütet, märchenhafte Uebertreibungen aufzuschreiben, im Gegentheil nur das gewissenhaft erzählt, was wir selbst beobachtet. So viel auch schon Interessantes über den merkwürdigen Egoist geschrieben ist, so könnte man doch noch Bände voll schreiben, um alle die seltsamen Sagen, die über ihn im Umlauf sind, zu entkräften. Das Eine beweisen jedoch die vielen abenteuerlichen Berichte: den allgemeinen Glauben, man könne diesem Erzschelm nicht genug nachsagen, sei es an Schelmerei oder verschmitzter Schlechtigkeit, und an diesem Ruf ist er ohne Zweifel selbst schuld.
„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht,
Und wenn er auch die Wahrheit spricht!“
Auch dieses ist oft genug auf ihn angewendet worden, doch mit Unrecht – nicht deshalb, weil der arglistige Schleicher nicht reden kann, sondern weil, wenn er es könnte, jedenfalls kein einziges wahres Wort aus seinem Munde ginge.