Edition Deutsch
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    Guido Hammer

    Das Wildschwein.

    Die deutschen Wälder dürften wohl kaum ein urwüchsigeres Wild, selbst den Bär und das Elen, die beide wenigstens die Grenzen unseres Vaterlandes streifen, in sich bergen, als das Wildschwein. Mächtig und einfach von Formen, bietet es in seiner dunkeln, borstigen Bedeckung einen überaus wilden, fast dämonischen Anblick, dessen Eindruck durch das kleine, funkelnde, namentlich in der blutunterlaufenen Farbe der Wuth dem Feinde wahrhaft tödtlich entgegen leuchtende Auge noch verschärft wird. Ueberhaupt ist das merkwürdige Thier, was seinen Charakter anlangt, von einer seltenen Entschlossenheit, immer bereit, es mit jedem Gegner aufzunehmen. Unerschütterlichen Muthes voll bis zum letzten Augenblick des Unterliegens, verwindet es auch dann noch alle Schmerzen, so daß selbst der Todeskampf ihm keinen andern Laut auspreßt, als ein wuthgiftiges Schnauben und jenes unheilverkündende Zusammenschlagen der Gewehre. Ein ritterlicher Kämpe verkauft der geharnischte Eber, wenn er, sei es vom Menschen oder Hunde, verfolgt und angegriffen wird, oder habe er gegen Bär, Wolf und Luchs zu kämpfen, sein Leben gewiß auf’s Theuerste. Kommt doch sogar der Jäger der Jetztzeit, trotz seiner überlegenen Feuerwaffe, bei solcher Jagd noch manchmal in Lebensgefahr. Lassen wir zur Veranschaulichung derselben ein Bild folgen und führen wir den Leser abermals an einem Wintertage in den Wald, wie neulich, da wir der Fährte des edeln Hirsches in Frieden nachgehen konnten. Diesmal richten wir unsere Blicke auf einen harten Kampf.

    Es war an einem Decemberfrühmorgen. Die Natur hatte sich in ihr einförmigstes Gewand gehüllt. Kein blasser Streifen verkündete im Osten die Sonne; nur eintöniges Grau deckte den Himmel – den Boden fahles Weiß, das während der noch herrschenden Dunkelheit mit dem weißlichgrauen Horizonte in der Ferne zusammenschmolz. Der dunkle Föhrenwald, aus dem hier und da der mächtige und oft vom Blitz zersplitterte Wipfel einer aus einer früheren Generation von Bäumen herstammenden Eiche oder Buche emporragte, bildete den Contrast dazu, milderte aber nicht die tiefe Melancholie, die sich gleichsam auf Alles, so weit das Auge reichte, gelagert hatte, sondern gab ihr einen nur noch tieferen Ausdruck. Auf einem Kreuzwege im Walde, an einer vielleicht tausendjährigen Eiche, die in die trübe dämmerige Luft hineinragte, stand, wie es schien, erwartungsvoll die jugendliche, aber durchaus männliche Gestalt eines Jägers. Brandschwarzen Haares und Bartes und tiefer brauner Farbe des Gesichts von slavischer Bildung, hatte diese breitschulterige Gestalt etwas ungemein Imponirendes, was durch das kühne, dunkelblitzende Auge, mit dem es in die Ferne schaute, wo man die unbestimmten Umrisse eines daherschreitenden Menschen gewahrte, noch bedeutend unterstützt wurde. Mit den Füßen den tiefen, weichen Schnee stampfend, um sie zu erwärmen, hielt er unverrückt das Auge auf den Kommenden geheftet, während neben ihm auf dem niedergetretenen Schnee ein Dachshund halb kauernd und frierend saß und nicht minder aufmerksam, als sein Herr, mit emporgezogenem Behänge und schief gehaltenem lauschenden Kopfe den Nahenden beobachtete. Daß er nicht laut wurde, bewies, daß seine Nase ihn bereits einen Bekannten wittern ließ, und so war es auch. In Kurzem war der Andere da, der, ebenfalls ein Jäger, lautlos im Schnee dahergewandelt kam, daß bei jedem Schritt die flaumigen Focken vor ihm herflogen, um in die sich bildende Bahn getreten zu werden. Ein langer Streifen durch eine makellose weiße Decke bezeichnete des Kommenden Fährte, die hier und da von der Fährte mancherlei Gewilds durchkreuzt war. Diese beobachtete der Daherschreitende, ohne viel Notiz von Dem, der auf ihn wartete, zu nehmen, mit Aufmerksamkeit. Noch ehe er ganz heran war, bezeugte das freundliche, unruhige Hin- und Herrücken des Dachshundes, so wie ein gelindes Schwanzwedeln, womit er im Sitzen den Schnee wegfegte, daß ein seinem Herrn Befreundeter nahe. Mit einem „Waidmanns Heil!“ reichte jetzt der Hinzugekommene dem Andern bieder die Hand, was kräftig und treuherzig erwidert wurde. Liebkosend streichelte dann Jener dem Dachse den Kopf, der mit halbunterdrücktem Winseln seine Freude ausdrückte, theils über den Empfang, theils in der Hoffnung, daß es nun jedenfalls weiter gehen und für ihn Arbeit geben werde. Nachdem sein Herr ihn emporgenommen und sich auf die Schulter gesetzt hatte, um ihn durch’s Laufen im tiefen Schnee nicht zu ermüden, schritt er mit einem: „Nun rasch vorwärts!“ voran, und der Andere, eine schmächtige Figur mit blondem Haar, Schnurr- und Knebelbart und einem milden, aber doch lebendigen, männlichen Auge, folgte ihm, indem er fragte:

    „Was hast Du denn eigentlich stecken, daß Du mich mit Büchse und ohne Hund bestellt hast?“

    „Die Sache ist die,“ antwortete jener, der Unterförster auf „Heiligen Seeer Revier“ auf dem „Klosterwalde“ bei † war und Horst Czesla hieß, „gestern Abend, als ich vom Reviere nach Hause ging, spürte ich, da es bereits einen gehörigen Schnee herausgeworfen hatte, hinten an der Hirschbacher Grenze, nagelneu das starke Schwein, dem ich und viele Andere, wie Du weißt, so manches liebe Mal zu Gefallen gegangen sind, ohne die Bestie je zu Schuß bekommen zu haben. Es war, wie gesagt, ganz frisch, hinunter nach dem Koberbrunner See, der jetzt fast ohne Wasser ist, aber doch warme offene Stellen hat und deshalb das Satansthier vielleicht einmal bestimmt haben mag, dort in den Kaupen sitzen zu bleiben. Da ist doch eher einmal Hoffnung, zu Schuß zu kommen; denn aus einem Dickicht ist’s ja gar nicht ’raus zu bringen, weder mit Treibern, noch mit Hunden, und sich auf der Fährte in ein solches Nest heranzupirschen, ist auch kaum möglich, da es in die dichtesten Stellen geht und man ihm also ganz nahe auf’s Leder rücken müßte. Da könnte man nicht einmal schießen und das wäre denn doch zu gefährlich. Siehst Du, Camerad, weil ich nun, wenn ich’s nicht schießen kann, es wenigstens keinem Andern gönne, als Dir, habe ich Dich in der Stille bestellt und, walt’s Gott! erwischen wir heute die Bestie! Nur das sage ich Dir: Einer steht für den Andern ein, denn zu spaßen ist mit dem Burschen nicht, und das ist der zweite Grund, weshalb ich Dich dazu genommen. Ich weiß, wo es gilt, bist Du der Mann!“

    „Es gilt!“ antwortete der Andere, der Adjunct beim Oberförster von demselben Reviere war und Pirschmann hieß, mit leuchtendem Blick und sein ganzes Wesen wurde voll Feuer un Erwartung einer solchen Jagd, die für den deutschen Jäger, außer in Wildgärten, bereits zur Seltenheit gehört. Rüstig gingen nun die beiden Jäger weiter, dabei sich besprechend, wie das Unternehmen zu leiten sei. Sie beeilten sich, möglichst schnell an’s Ziel zu kommen, damit nicht etwa ein anderer von den Forstbeamten, der abspüren ging, auf die Fährte und ihnen zuvorkäme; denn es war hoher, ausdrücklicher Befehl an alle Forstbeamten ergangen: jedes Schwein todt zu schießen, da kein Wildschaden mehr bezahlt wurde und die Bauern deshalb unduldsam waren.

    Kein Lichtstrahl drang durch den dichten Schneehimmel, obgleich es Tag geworden war; freilich einer der trübsten, die im Jahre vorkommen, Dennoch war der Wald in diesem tristen Ton nicht ohne Schönheit; denn wie der mehrere Fuß hoch gefallene Schnee den Boden bedeckte, so lag er auch auf Aesten und Zweigen, die sich schwer herabneigten, fast unter der Last brechend. Die schlanken Birken hatte der Schneefall kreuzweise ineinander gebogen, daß sie den herrlichsten gothischen Bauwerken glichen und gleichsam Ehrenpforten für die darunter Hinstreifenden bildeten. Jedes schlanke Reiß trug tief gebückt seine Bürde eben so, wie die mächtige Eiche, die ungebeugt und starr auf ihren Schlangenarmen den vom Himmel empfangenen Schmuck zum Himmel streckte, während nicht minder ehrwürdige Fichten ihre Zweige, deren untere in ihrer weißen Bekleidung den Boden berührten, herniedersenkten, ein Bild der Demuth und – deshalb um so wunderbarer und rührender das Auge fesselnd. Kein Laut, kein Ton rings umher, denn selbst die Schritte der Jäger waren unhörbar; kein Hauch rührte Nadel und Zweig, kein Vogel ließ sich vernehmen – die Natur schlief gleichsam mit offenen Augen unter dem Zauber der winterlichen Hülle und der schweren bleiernen Luft. Auch auf unsere Jäger schien der schneebedeckte Himmel verstummend einzuwirken. Wenn auch der Blonde zuweilen einen stummen Blick auf die phantastischen Schneegebilde der belasteten Bäume streifen ließ und seinen Cameraden auf ihren Reiz aufmerksam machte, so kam es doch nicht zu einem munteren und heiteren Gespräch. Immer vorwärts treibend hatte der Andere nur Sinn für die Fährten, die seine Bahn kreuzten; aber auch sie interessirten ihn heute nur in so weit, als er die Fährte des starken Schweines etwa zu finden glaubte. So eilten sie, so schnell es der tiefe Schnee zuließ, weiter auf schmalen Pirschgängen durch hohes Holz, so wie durch Stangenholz und Dickicht dahin, in welchem sie den Schnee von dem jungen Wald in Massen abstreiften, so daß die beschneiten Zweige in die Höhe schnellten und auch die über ihnen hängenden Aeste entlasteten. Weite Blößen lagen jetzt vor ihnen und den Horizont begrenzten die Holzbestände, welche den ersehnten Koberbrunner See einschlossen. Mit verdoppelter Eile überschritten sie die öd’ sich vor ihnen ausbreitenden todten Gehaue. Trotz des kalten Morgens rannen unsern Waldmännern die Schweißtropfen von der Stirn, so hastig strebten sie vorwärts, da bereits wieder einige Flocken fielen und sie befürchten mußten, daß, wenn es ärger käme, die etwaigen Fährten verschneit würden. Endlich standen sie am Rande des See’s und tief aufathmend rasteten sie einige Augenblicke.

    Nach Ueberlieferungen wußte man, daß der See Menschenalter lang ungeschmälert Wasser gehabt und daß sich damals Tausende von allerhand Wasservögeln aufgehalten. Plötzlich hatte er sodann angefangen, an Wasser arm zu werden, bis er völlig ausgetrocknet, ebenso lange als wildes Land dagelegen und sich dann zu füllen begonnen, und so abwechselnd fort. Jetzt glich der halb ausgetrocknete See einem mächtigen Kirchhofe, denn die ihn über und über bedeckenden Schilfkaupen in ihren beschneiten Formen sahen aus wie eben so viele schneebedeckte Grabeshügel, über die das Auge, ohne einen anderen Halt zu haben, bis an die undeutlichen Umrisse der das andere Ufer begrenzenden Waldung hinschweifte.

    Nachdem ein Schluck aus der Flasche die Jäger erlabt hatte, gingen sie auseinander, um jeder eine Seite des See’s abzuspüren und sich auf der entgegengesetzten Seite zu treffen. Nach einer kleinen halben Stunde waren sie wieder beisammen und Pirschmann hatte wohl manche andere Fährte, aber keine des Keilers entdeckt; ebenso hatte Czesla außer der vom vorigen Abend, die jetzt verschneit und kaum noch bemerkbar war, keine frische gefunden. Mithin mußte das Schwein in den Kaupen sitzen. Sofort ging’s an die alte Fährte zurück und ohne Umstände wurde nun der Dachshund auf die Fährte gesetzt. In kurzen Bogensprüngen sah man das Dächsel im Schilf und Schnee verschwinden und zur höchsten Freude der Jäger wurde es auch sehr bald laut, und zwar so, daß man hörte: er stelle das Schwein. Mit einem: „Jetzt ist uns geholfen!“ ging’s nun darauf zu. Aber das war keine leichte Arbeit, sich durch das dichte Schilf zu winden, das raschelnd von ihren Füßen zu Boden getreten wurde. Oder sie kamen durch offene Stellen bis an die Kniee in Schlamm und Wasser; dann wieder auf glatt gefrorenen Grund, der sie oftmals zum Fallen brachte, wobei sie für ihre Gewehre besorgt sein mußten. Jeder wollte der Erste sein, um möglichst auch zuerst zu Schuß zu kommen; doch schon waren sie ganz nahe heran, ohne daß sie das Schwein im Gewirr von Schilf sehen konnten, und nur das Gebell des Hundes, so wie das Rascheln des dürren Schilfes, das, je nachdem die Sau den Hund annahm und dieser sich flüchtete, vom darauf liegenden Schnee frei wurde und deutlich die Stellen zeigte, wo Hund und Eber bereits aneinander gerathen waren. Mitunter sahen sie wohl das gereizte Thier einen Moment; trotzdem aber konnten sie nicht schießen, da man in demselben Augenblicke den Hund nicht sah und zu besorgen hatte, daß er in Schußlinie sein und mit getroffen werden könnte. Man merkte deutlich, daß er dem mächtigen Schwein, wie er auch immer unablässig auf dasselbe eindrang, nicht eben Furcht einjagte; es nahm nur Notiz von ihm, wenn er allzu anmaßend wurde. Dann fuhr es plötzlich auf ihn ein, aber mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit wußte sich das Dächsel jedes Mal, trotz dem ungünstigen Terrain, dem gefährlichen Gegner zu entziehen, um sofort auf einer anderen Stelle auf seinen Todfeind wieder einzustürmen.

    Endlich bekam der eine von unseren Jägern, der Schwarze, einen Augenblick eine Lücke frei, um auf das Schwein schießen zu können, und gedämpft hallte der Schuß in die Winterluft hinaus. Aber kaum war dies geschehen, so fuhr das jedenfalls angeschossene, racheschnaubende Thier auf unsere Jäger zu, die rechts und links zur Seite sprangen und so, zum Theil durch die Kaupen geschützt, dem ersten Anprall entgingen. Ein zweiter Schuß von demselben Schützen blieb ohne andere Wirkung, als daß der borstige Feind nur noch wüthender wurde. Pirschmann hatte sich unthätig verhalten müssen, da ihm entweder der Hund, oder gar sein Freund in Schußlinie gewesen. Zum Glück konnten sich jetzt beide Jäger hinter die Kaupen flüchten. Dadurch kamen sie dem Eber aus dem Gesicht, der in seiner Wuth an ihnen vorüberschoß, den Dachshund unmittelbar hinter sich her, weiter hinein in den See ging, und prasselnd durch die zugefrorenen, wenn auch nicht tiefen Stellen brach, bis er sich abermals dem Hunde stellte. Sofort gingen die Jäger, nachdem Czesla wieder geladen hatte, auf der Schweißfährte fort, aus der sie ersahen, daß das Schwein am Vorderlauft verwundet sein müsse. Es kostete Vorsicht, ehe sie einen Schuß anbringen konnten. Diesmal schoß Pirschmann zuerst; er kam aber zu hoch, und die Kugel ging nur durch den vor Wuth emporgesträubten Kamm. Ungeachtet der Gefahr nahm das Thier sogleich seine Feinde wieder an. In diesem Augenblick schoß der zweite Schütze und zwar mit Posten in ziemlicher Nähe, und als er sah, daß diese wirkungslos blieben, das Kugelrohr des Doppelzeuges auf den nun kaum zehn Schritte entfernten, eindringenden Keiler. Doch bei der Hast, mit der es geschehen mußte, mißlang auch dieser Schuß, und indem unser Jäger auf die Seite springen wollte, kam er auf dem Eise so unglücklich zu Falle, daß er dem sichern Untergange preisgegeben gewesen wäre, wenn nicht der Andere, da er seinen Cameraden in so augenscheinlicher Gefahr sah, mit verzweifelter Kühnheit die ungeladene Büchse weggeworfen und mit dem Hirschfänger, der hier fast wie ein Spielzeug war, sich todesmuthig zwischen das anbrausende Ungethüm und seinen Freund geworfen hätte. Kaum aber, daß sein Sprung ausgereicht hatte, den Freund zu decken, so war auch der schnaubende Eber schon heran, und ein einziger Schlag mit seinem haarscharfen Gewehr schlug den Unglücklichen nicht nur zu Boden, sondern brachte ihm auch eine Wunde in den Oberschenkel bei, die, vom Knie bis gegen das Hüftbein hin weitklaffend und blutend den blanken Knochen sehen ließ. Doch, immerhin noch glücklicher Weise, hielt sich das verderbliche Thier nicht bei seinem Opfer auf, sondern brach unaufhaltsam wie brausender Sturmwind, durch das Geröhricht, das Eis unter sich zerschlagend, so daß das niedrige Wasser des See’s hoch emporspritzte und seine Bahn durch den rothen Schweiß seiner mannichfachen Wunden, die es theils durch die Kugeln, theils durch die scharfen Eissplitter erhalten hatte, bezeichnete. Dabei hatte es seinen, obgleich schwachen, aber doch unermüdlichen Verfolger, den Dachshund, stets hinter sich. Matt und des ununterbrochenen Gekläffs überdrüssig, stellte es sich endlich nochmals, und drang mit höchster Erbitterung auf den kleinen tapfern Feind ein, der immer und immer auszuweichen verstand, ohne sich abschrecken zu lassen.

    Inzwischen lag der todtenblasse junge Jäger auf dem von seinem Blute roth gefärbten Schnee; sein Camerad knieete neben ihm und versuchte, die Sau in aller Teufel Namen verwünschend, die Wunde mit dem herausgeschnittenen Unterfutter seiner Juppe und mit Werg aus seiner Schießtasche zu verbinden. Dann legte er weich geriebenes Schilf auf den Verband, um das durchdringende Blut zu hemmen, und band noch seine Fangleine darum. Mit stoischer Ruhe hatte der Verwundete der ganzen Operation zugeschaut, ohne sich vom Flecke rühren zu können. Behutsam nahm ihn nun sein Freund auf und lud ihn sich auf die Schultern, um ihn in ein nicht allzufernes Forsthaus vom Nachbarreviere zu tragen. Da fiel in kurzer Entfernung an der Grenze ein Schuß. Augenblicklich ließ Czesla den gellenden Jägerruf: „hupp, hupp!“ erschallen, um Hülfe herbeizuziehen. Sofort wurde der Ruf beantwortet. Ihn noch einmal freudig erwidernd und abermals Antwort vernehmend, ließ unser Waidmann seine Last sanft hernieder, breitete seine Juppe auf den Schnee, und legte den kranken Cameraden mit dem Rücken gegen eine Kaupe. Darauf sagte er:

    „Jetzt, Brüderchen, kommt Hülfe! Nun lasse ich Dich einen Augenblick allein, und schieße erst das Mordvieh, den Teufel von einer Sau, todt. Der Hund stellt noch immer, und hörtest Du’s nicht, wie das Dächsel gaukste? Da mochte es wohl eins ausgewischt bekommen. Na warte, Satan, dich wollen wir schon kriegen!“

    Dabei hatte er bereits sein Doppelzeug, welches Spitzblei schoß, geladen. Sein gellend wiederholtes „hupp, hupp!“ wurde schon viel näher, als das erste Mal, beantwortet, und jetzt eilte er der Gegend zu, wo der Hund noch immer, wenn auch schwächer, laut war. Bald war er auf Schußweite heran.

    Auf einer kleinen ausgetrockneten Blöße mitten im Geröhricht auf zertretenem Schnee saß das schon todesmatte, aber noch immer wuthgierige Wildschwein. Aus ein paar Kugelwunden schweißend, den weißen Schaum vor dem Gebräche, knirschte es mit den Zähnen, daß man es auf ziemliche Entfernung deutlich vernehmen konnte. Sein blutig unterlaufenes kleines Auge blitzte aus dem dunkelen Koloß todverheißend heraus, und war racheglühend auf den Dachs gerichtet, der sich in einer gemessenen Entfernung hielt und nur noch in Pausen den grimmen Feind ankläffte.

    Dem abermals ertönenden Ruf des Herbeigelockten, der ganz in der Nähe erklang, antwortete unser Jäger mit einem Schuß auf das tapfere Wildschwein, und schon glaubte er wieder gefehlt zu haben, da es ruhig sitzen blieb; doch ehe er das zweite Rohr entlud, brach es zusammen. Stumm, wie es gekämpft, verendete das ritterliche Thier. Schnell sprang der Sieger, um nöthigen Falls den Fang zu geben, herzu. Auch der Dachshund versuchte es, seine Wuth an dem todten Recken auszulassen, doch ach! – kaum konnte sich der Schwerverwundete, was sein Herr erst jetzt schmerzlich und überrascht bemerkte, zu ihm heranschleppen. Aus einer klaffenden Wunde hing das Gescheide heraus und schleppte auf dem Boden nach. Winselnd, halb vor Schmerz, halb vor Freude, seinen Herrn zu haben, legte er sich zu dessen Füßen nieder, und sah ihn mit einer Miene an, die unser eben nicht weicher Jäger, der für das Loos seines Cameraden nur eine Verwünschung für die Sau gehabt, nicht ertragen konnte, und die ihm die Thränen in’s Auge trieb. Liebkosend nahm er ihn auf, und suchte das Gescheide wieder in die Wunde zu stopfen. Den Herrn wehmüthig leckend, dankte das arme hülflose Thier dafür.

    Unterdessen war der Förster vom Nachbarrevier – denn dieser war es gewesen, der, nachdem er einen Fuchs geschossen, den Ruf beantwortet hatte – herangekommen, da er natürlich dem Hundegebell und dem letzten Schuß nachgegangen. Rasch theilte unser Schwarzer dem weißbärtigen Alten alles Erlebte mit und bat um Hülfe. Mit einem herben Vorwurf, daß jener seinen schwer verwundeten Freund ohne Beistand liegen gelassen habe, beschleunigte er mit jugendlicher Kraft seine Schritte, den ungefähr fünfhundert Schritt vom hiesigen Wahlplatz entfernt Liegenden zu erreichen. Bei seiner Ankunft stärkte er zuvörderst durch einen Schluck Rum den Kranken, dem übrigens die Nachricht daß die Sau erlegt sei, sehr willkommen war, und der es seinem Freund durchaus nicht verargte, daß er ihn ein Weilchen verlassen, dagegen den armen winselnden Dachshund aufrichtig bedauerte.

    Hierauf nahmen ihn der Förster und Czesla auf ihre kreuzweise verschlungenen Arme, um ihn nach dem nahgelegenen Grenzforsthause des Alten, der außerdem das Dächsel bis an den Kopf in seinen Büchsenranzen gesteckt hatte, zu tragen. Nicht weit von der Kampfstätte bekamen sie Hülfe, wie der Letztere wußte, durch Holzmacher im Walde. Dahin wurde der arme Pirschmann getragen, wo man ihn auf einen mit Reisig bedeckten Schiebebock legte, diesen auf Stangen festband und so als Trage benutzte, welche von den Holzmachern aufgenommen ward. So schnell als möglich ging’s nun dem Forsthause zu, wohin der Förster vorauszueilen beschloß, um seine Familie auf das Ereigniß vorzubereiten. „Die Rosel besonders,“ – so flüsterte er dem mit einem alten Mantel bedeckten Kranken bedeutsam in’s Ohr, – „die könnte mir ja sonst des Todes erschrecken!“ Ein dankbares Lächeln und eine leise Kopfbewegung war die Antwort hierauf.

    Seitdem verging mancher Tag in Schmerzen; aber als der Genesende endlich sein Lager im Hause des guten Alten verließ, um am Arme der Rosel, die ihn treulich gepflegt hatte, in der kleinen, mit Hirschgeweihen reizend verzierten Stube umherzugehen, bedurfte das Lächeln von damals keiner Erklärung mehr, und als es verlautete, daß Pirschmann mit der vielbewunderten und von aller Welt geliebten Rosel, der jüngsten Tochter des Försters, verlobt sei, da murmelte mancher derbe Jäger etwas von „Schwein“ und „Glück“ in den Bart, um in gewohnten Ausdrücken den Zusammenhang der unglücklichen Jagd mit dem jetzigen beneidenswerthen Gewinn des biedern Cameraden zu bezeichnen.




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