Edition Deutsch
    Library / Literary Works

    Guido Hammer

    Pulverfuchs.

    Ein Waldvagabundenleben.

    Bei einer Jugendstreiferei – es mögen nun wohl bereits fast dreißig Jahre her sein – traf ich in dem schon damals über Alles geliebten Walde beim Forellenfange einst einen etwa siebenzehnjährigen, gutmüthig aussehenden Burschen, der ebenfalls „gerne in den Busch lief“, wie er sich gegen mich ausdrückte. Da wir uns später noch oft auf unsern Ausflügen begegneten und ich draußen im Walde noch viele Jahre Umgang mit ihm pflog, so lernte ich ihn gründlich genug kennen, um folgendes Conterfei von ihm geben zu können.

    Fuchs, dies war sein Name, war blutarmer Leute Kind und hatte, nachdem er die unregelmäßig besuchte Schule hinter sich gebracht, aus Vorliebe für den Soldatenstand, Tambour werden wollen, war aber um eines schlecht geheilten Armbruchs willen, den er zwar schon in seinen Knabenjahren erlitten hatte, der ihn aber noch jetzt für den Militärdienst untauglich machte, abgewiesen worden. Traurig hatte er nun, wie er mir oft erzählte, seine Lieblingsidee, Soldat werden zu wollen, aufgegeben, und war, wie dies nach verfehlten Plänen so oft zu gehen pflegt, – Nichts geworden. Seinem angeborenen Hange folgend, hatte er sich ausschließlich dem Umherstreichen durch Wald und Flur ergeben, wobei er im Frühjahr und Herbst Pilze suchte, Vogelnester ausnahm, die kleinen Sänger in Sprenkeln und Dohnen fing etc. – kurz eine Thätigkeit entfaltete, die schon allein hinreichte, ihn bei allen Jagdbeamten mißliebig zu machen, seiner allerdings etwas bedenklichen Begriffe über Staatseigenthum gar nicht weiter zu erwähnen, die ihm den Wald als völlig freies Gut Aller erscheinen ließen. Nach seinen Ansichten war jeder Jäger ein „erbärmlicher Tyrann“, der sich anmaßte, dem armen Volke sein gutes Recht zu schmälern. Natürlich mußte er bei solchen Anschauungen mit den Hütern der Forsten in steter Fehde leben, und obgleich er sich bis zum Beginn unserer Bekanntschaft noch keines größeren Forst- oder wohl gar Wildfrevels schuldig gemacht haben mochte, so war er doch schon mehrmals bei Vogel- und Fischfang und unbefugtem Holzlesen – wozu er auch das Absägen eines „Stängelchens“, das, wie er mir selbst eingestand, ungefähr sechs Zoll Durchmesser gehalten hatte, mit rechnete – betroffen und dafür mit „Haidetage thun“ bestraft worden.

    Mit Entrüstung sprach er deshalb von den „lumpigen Forstbütteln“, wie er alle Forstleute ohne Unterschied ihres Ranges betitelte, und erklärte sich ganz offen als ihren erbitterten Feind. Viel verderblicher jedoch, als sein Haß gegen die Jägerei, der sich in der Hauptsache doch nur auf Redensarten beschränkte, war für die Forsten seine Leidenschaft für Pulvergaukelei, die ihm auch den Namen „Pulverfuchs“ zugezogen hatte. Immer führte er nämlich das gefährliche Teufelszeug mit sich herum, das er dann auf seinen einsamen Waldgängen ohne allen Zweck verpuffte oder aus einem alten Terzerol verschoß. Manche kleine Haide- und Grasbrände auf dürrem Boden waren bereits die Folgen solcher Ungebührlichkeiten gewesen, wovon ich selbst einmal Augenzeuge zu werden Gelegenheit fand. In meinem Beisein pflegte er seiner Liebhaberei keinen Zwang anzulegen, und so traf ich ihn einst an einem schönen, aber windigem Spätherbsttage, wie er einen Laubstreuhaufen auf dürrem Grasplan, neben einem jungen Kiefernbestand, zusammengetragen hatte und eben durch einen Pistolenschuß ohne Pfropfen entzündete. Knisternd züngelten die Flammen empor, die der scharfe Wind rasch zur baumhohen Lohe anfachte und den dicken Qualm über die Haide hinwälzte. Aber bald ergriff der glühende Brand auch die dürren Schmälen am Boden und verzehrte mit rasender Schnelle die wogenden Halme. Schon sengte die gewaltige Gluth die harzigen Nadeln der zunächststehenden Kiefern, als der keine Steppenbrand, aus Mangel an weiterer Nahrung für die lechzenden Zungen des verheerenden Elementes, zum Glück in sich verloderte und somit der Wald verschont blieb. Hatte mich bei dieser Scene, um der Folgen willen, wahrhafte Angst erfaßt, so freute sich Pulverfuchs hingegen „wie ein Schueekönig über das scharmante Feuerwerk und lustige Geprassel und Geknister“, und nahm mir es sehr übel, daß ich, die Gefahr für den Wald erkennend, das Feuer auszupeitschen mich bemüht hatte. Ein anderes Mal erwischte ich ihn, als er am Rande der Dresdner Haide hinter einer dicken Kiefer stand und vorsichtig hervorlugte, als lauere er auf etwas ganz Besonderes. Als ich mich aber ihm ungesehen genähert hatte und plötzlich scherzend fragte: „was macht Er hier auf dem Anstande?“ so zog er mich schmunzelnd hinter den Stamm, mit dem kurzen Bedeuten: ich würde es gleich hören und sehen. Und richtig! Kaum zwei Minuten waren nach dieser einfachen Unterredung vergangen, als ich auf einem vor uns liegenden wüsten Sandplatze, unter donnerähnlichem Gekrach, eine mächtige trümmergemischte Staub- und Rauchwolke emporwirbeln sah. Im ersten Augenblicke glaubte ich, der Kerl habe eine Mine gegraben und explodiren lassen, mit welcher Vermuthung ich auch so ziemlich das Richtige getroffen hatte, denn der verteufelte Nichtsnutz hatte in seiner Gaukelwuth ein seit langer Zeit hier befindliches, im Sande halb vergrabenes, verwittertes Denkmal, den sogenannten „alten Uhlanen“, mit Pulver in die Luft gesprengt.

    Dies Monument rührte noch aus den Tagen August’s des Zweiten her, der es dem Andenken eines 1742 in Dresden verstorbenen polnischen Uhlanen hatte errichten lassen. Wie oft hatte ich sonst auf dem alten Steinbilde gesessen, das nun der muthwillig-übermüthigen Hand Pulverfuchses zum Opfer gefallen war!

    Wie der Strolch mir nach der Affaire erzählte, hatte er Tags zuvor auf dem „letzten Heller“, dem Exercirplatze der sächsischen Artillerie, eine „crepirte“ Granate von einem stattgehabten Manöver gefunden und deren Füllung zur Sprengung des Grabmals benutzt. Lange nachher lagen noch die weit umhergeschleuderten Trümmer der vernichteten Statue auf brombeerumranktem Haidegrunde umher, bis die neueste Zeit über das Grab des polnischen Kriegers den hochunterdämmten glatten Schienenweg führte, auf dem mit Windesschnelle der brausende Dampfzug bis in das Herz seines zerrissenen Vaterlandes eilt. Aber überhaupt hat der beschriebene Schauplatz sich völlig verändert, denn wo vor ungefähr zwanzig und weniger Jahren noch stille Waldeinsamkeit herrschte, erhebt sich jetzt eine ganze, belebte Vorstadt Dresdens.

    Doch kehre ich wieder zu meinem Waldvagabunden zurück. Ich müßte es lügen, wenn mich solche Uebergriffe Pulverfuchses, obgleich ich sie schon damals entschieden mißbilligte, von ihm abgeschreckt hätten; im Gegentheil, der Freizügler wurde mir dadurch nur noch interessanter. So ist’s denn erklärlich, daß ich, je älter ich wurde, je freier ich also über meine Zeit und Ausflüge verfügen konnte, auch um so häufiger mit dem Waldläufer draußen zusammentraf. Ja, oft strich ich nun ganze Tage lang mit ihm umher, wobei ich den originellen Kauz so recht studiren konnte. So nahm ich unter andern dabei wahr, daß er nicht nur ein vortrefflicher Vogelfänger und Angeler, sondern seinen verblümten Andeutungen nach auch ein abgefeimter Schlingensteller auf Wild sein mochte, obwohl er mir solches nie eingestanden hat, während er erstere Fangarten ohne Hehl vor meinen Augen betrieb und zwar mit einer Virtuosität, die mich in Erstaunen versetzte. Namentlich verstand er das Forellenfischen in den Waldbächen gründlich und zwar nicht nur mit der Angel, sondern auch ganz besonders mit der bloßen Hand. Hatte er aber bei solchen Gelegenheiten reiche Beute gemacht, für welche er jederzeit, wie er behauptete, gute Abnehmer fand, so pflegte er sich wie zum Lohne für seine Thätigkeit an einer hübschen Stelle des Waldes in’s weiche Moos zu lagern und seinen Schnappsack – er lebte beiläufig gar nicht schlecht – zu öffnen, um mit Brod, Butter, Wurst oder Fleisch und einigen tüchtigen Schlucken Branntwein seinem Leibe etwas zu Gute zu thun. Außerdem führte er noch ein „Pimpelmännchen“ – wie er’s nannte – in besonderer Flasche bei sich, das heißt eine mit Kümmel legirte Sorte Schnaps, die er auch mir zu credenzen für würdig erachtete. Nach solchen lukullischen Genüssen gerieth er gewöhnlich in redselige Stimmung, in der er mir dann oft Abenteuer seines Lebens mittheilte. Folgende Erzählung, die er mir bei angeregter Laune zum Besten gab, mag zu seiner Charakerisirung hier eine Stelle finden, so wie sie seinem Munde entfloß:

    „’s war vor ein paar Jahren im Winter und hatte nächten eine grausame Masse Schnee ’runtergeworfen, als ich mich am fruhen Morgen auf die Socken machte, um ein Bissel Holz in’s Haus zu holen. Da ’s mit dem Leseholze zu lange gedauert haben würde, nahm ich mir ein Sägeblättel, das ich mir um den Leib legte, mit, um damit schnell ein paar dürre Stängelchen abzufiedeln. Natürlich wollte ich um der Lumperei willen nicht etwa weit hinter in die Haide kracksen, aber wie ich einmal draußen war und mich warm gegangen hatte, da gefiel mir’s so, daß ich dachte: was sollst Du heim sitzen? und ging also weiter und zwar auf dem „Kannenhenkel“ hinaus, hinter nach dem „schwarzen Kreuze“. Wurde Einem auch das Gehen in dem tiefen Schnee etwas sauer, so war’s doch gar prächtig im Walde, daß ich mich nicht satt d’ran erfreuen konnte. Der Wald sah aber auch gar so herrlich aus – ein Maler hätte ihn nicht schöner malen können! Die Bäume hatten sich von der Last Schnee rechts und links über den Weg gebogen, daß man wie in einem Kirchgang d’runter hinging, nur daß kein Gotteshaus so schön ausstaffirt sein kann, und wenn’s von lauter Gold und Marmor wäre. Kreuz und Kanonen-Pulver, wie gar prächtig sahen die vollhängenden Bäume aus, als die Sonne durchbrach und nun so zwischen ’neinflimmerte! Das war doch grade, als wenn der liebe Gott mit Edelsteinen um sich ’rum würfe. Denn da sah man’s überall glänzen und funkeln, daß Einem die Augen ordentlich übergingen – ich mußt sie, hol mich der Teufel! förmlich darvor zublinzeln. Dabei kam mir’s ordentlich heilig im Walde vor, so daß, als ich am „schwarzen Kreuze“ vorbeikam, wo ich sonst gerne rasch vorüberschnelle, weil’s dort „scheechen“ soll, ich, Ihr könnt mir’s glauben! stehen blieb und mir auf einmal unser Heiland einfiel. Dabei wurde mir’s so eigen zu Muthe, daß ich an allerhand neck’sches Zeug dachte, wie an meine verstorbenen Eltern – Gott hab’ sie selig – und den alten Cantor, bei dem ich in die Schule ging und der nun auch schon lange in’s Gras gebissen hat. Auch wurde mir’s so einsam um’s Herz, daß mir’s ordentlich zu grauen anfing und ich deshalb schnell auf dem „F“ ’nunter nach der „Scheibe“ lief, um nur so schnell wie möglich das fatale Kreuz hinter mir zu haben; denn ich weiß schon, ’s läßt Einen doch nicht gerne ungeschoren vorbei. Darauf wurde mir auch richtig bald wieder ein Bissel leichter um’s Herz, besonders wie ich mir vornahm, nächsten Sonntag wieder einmal zu Gott’s Tisch zu gehen, wozu ich seit meiner Mutter Tode nicht wieder gekommen war.

    Na, ich ging also mit meinen Gedanken immer weiter auf die Scheibe, um ’nunter nach dem „Wasserfall“ zu gucken, weil der sich im Winter gar so scharmant ausnimmt. Aber schon auf dem Wege dahin war’s reine zum närr’sch werden schön! Ich weiß nicht woran ’s liegen mochte, aber ’s war mir auf die Blitzgedanken alle, die ich an dem Blitzkeuze gehabt hatte, hinterher doch ordentlich wohlig geworden, so daß ich nun johlend weiter stolperte. Auf einmal huscht so’n langes schwarzes Ding über den Weg, daß mir’s doch gleich wie Pulver in alle Glieder fuhr, denn im ersten Augenblick dachte ich, ’s wäre etwa noch eine Scheecherei von dem Galgendinge, dem Kreuze, her, wie ich aber noch so dastehe vor Schreck, da schlüpft das huschige Beest wieder über den Weg ’nüber auf die andere Seite und in’s Dickicht ’nein. Diesmal bekam ich’s aber ungefähr weg, was es eigentlich war – nämlich ein Mard. Und richtig, wie ich an die Tapsen ’ran kam, die ’s in den Schnee gemacht hatte, sah ich’s ganz deutlich, daß ich mich nicht getäuscht hatte. Aus Neugier ging ich nun dem Viehe nach, um zu gucken, wo’s sich hin versteckt hätte, denn so ein Ding kostet Geld, wenn man’s erwischt. Zum Schießen hatt’ ich freilich nichts bei mir, aber ich wollte doch den Ort wissen, wo der Teufelsbalg hingekrochen wäre. Weil ich gleich hinterher war, so hatte er auch nicht lange mehr herumgetempert, sondern war in eine alte Buche, die nicht gar weit ab vom Wege stand, ’neingefahren.

    ’Naus kam das Teufelsding nicht wieder, so viel ich auch mit einem Knüppel gegen den morschen Baum schlug. Da fuhr mir auf einmal wie ’ne Rakete der Gedanke durch den Kopf, daß ich eine ganze Düte Kanonenpulver in meiner Fouragetasche stecken habe, weil ich mir eben manchmal gerne einen Spaß mache, so ’was loszulassen. Ich visitirte nun zuerst das Astloch, wo’s Pelzmärdel ’neingekrochen war, und steckte dann, nachdem ich einen langen Streifen Schwamm an die Pulderdüte befestigt hatte, diese in die Höhlung nein und brannte dann das ’naushängende Schwammende an. So dachte ich, wirst Du das Ding schon ’raus kriegen, denn die Jäger räuchern ja auch die Beester ’raus. Ich hatte mich unterdessen ein tüchtiges Stück von der Buch weg hinter eine alte Tanne gesteckt, um da den Spaß abzuwarten. So paß’ ich und passe, daß der Krempel los gehen soll, aber trotzdem, daß ich schon eine ganze Weile gelauert hatte, rührte sich noch kein Aestel. Gewiß, dachte ich, ist der Schwamm am nassen Stamm ersoffen, und wollte in dieser Meinung schon hinter meinem Versteck vorschlüpfen, um nachzugucken, als ich dumpfes Pferdegetrampel, das auf dem Wege herzukommen schien, höre. Ich blieb also noch ruhig hinter meinem Stamm stehen, von wo aus ich ein großes Stück des Weges übersehen konnte, und horchte weiter, ob ich mich nicht etwa verhört hätte. Aber heiliges Donnerwetter, wie erschrak ich, als ich den alten Revierförster Z. auf seinem dicken Gaule daher geritten kommen sah! Gott’s Blitz und Granaten, wie wubberte mir bei seinem Aublick das Herze!

    Mich entdeckte er schon nicht, das wußte ich, obgleich er meine Tapfen im Schnee sehen mnßte; denn wenn der Grünrock sich auch wirklich über die Spuren nicht täuschen ließ, die er aber doch möglicherweise für die eines Jägers, der dem Marde nachgelaufen wäre, halten konnte, so rechnete ich doch bestimmt darauf, daß der alte Herr zu bequem sein würde, vom Pferde zu steigen und dem Gelaufe nachzugehen. Also, daß er mich etwa erwischen könnte, darum war mir nicht bange, wohl aber, daß der Spectakel in der Buche grade losgehen möchte, wenn der alte Schneesieber vorbeiritt. Mit Zittern sah ich deshalb den Reiter näher und näher kommen, und ’s war mir doch, als wenn ich selber in die Luft fliegen sollte, als ich plötzlich ein Fünkchen vom Salpeterschwamm im Buchenloche aufspritzeln sah, wobei ich schon im Geiste den Krach vernahm, der meiner Meinung nach nun augenblicklich erfolgen mußte. Aber es blieb still – das Feuer konnte das Pulver noch nicht erreicht haben. Schon hoffte ich, daß der Förster wenigstens ein gehöriges Stück von dem elendigen Baum wegkommen würde, ehe der Teufelskram losginge, wenn nicht gar der Schuß „crepirt“ wäre. Aber es sollte dennoch anders kommen. Denn wie der Herr vielleicht nur noch fünfzehn Schritt vom Unglücksstamm entfernt war, that’s doch einen Platz, daß ich mir einbildete, die Erde müsse mich verschlingen – und die Buche flog in die Luft. Zu gleicher Zeit stürzten aber auch Pferd und Reiter zusammen, und eine Schneewolke wirbelte in die Höhe, daß man nichts mehr um sich sah. Dazu flogen die Aeste der alten Mordsbuche wie Schwärmer klirrend im Gezweige der anderen Bäume herum und stürzten neben mir prasselnd zur Erde, so daß mich ein Schrecken überfiel, wie ich ihn in meinem Leben noch nicht gehabt. Und nicht etwa um mein elendiges Leben war mir’s zu thun, ich hatte nur den armen alten Mann, den ich naturlich für todt hielt, im Sinne. Wie ein Wahnsinniger riß ich deshalb aus, und in meinem Leben will ich die Angst nicht vergessen, die ich den Tag über und die folgende Nacht ausgestanden habe, da ich mich natürlich für einen Mörder halten mußte; denn an den Unglücksplatz hinzugehen, um mir Gewißheit zu verschaffen, getraute ich mir nicht. Aber Gott sei’s heute noch gedankt, wir waren Alle, der Förster, ich und das Pferd, wie sich’s später auswies, mit dem bloßem Schrecken davongekommen! Der weiche Schnee hatte nämlich den Sturz des alten Mannes unschädlich gemacht, und Stücke des Baumes, der total zum Teufel gegangen war, hatten ihn sowohl als auch das Pferd unverletzt gelassen.

    Daß aber der Förster Z. ein kreuzbraver Ehrenmann, überhaupt der einzige vernünftige Jäger ist, den ich habe kennen lernen, das habe ich dazumal erfahren. Als mir nämlich des andern Tages die Angst keine Ruhe mehr ließ, ging ich, um mich selbst anzuzeigen, in’s Forsthaus. Aber gleich bei meinem Eintreten sah ich zu meiner unaussprechlichen Freude den Todtgeglaubten frisch und gesund im Hausflur stehen, wo ich ihm nun selber mein Vergehen berichtete. Da schalt er mich zwar – die Seele von einem Mann – zwar einen Himmelsschwerenöther über den andern und zankte mich überhaupt tüchtig aus, aber versprach mir auf meine Bitten dabei doch, diesmal noch ein Auge zudrücken zu wollen und keine Anzeige zu machen. Und er hat mir schlechtem Kerl auch richtig Wort gehalten!“

    Aus solchen und ähnlichen Offenbarungen folgerte ich denn doch, daß ein fortgesetzter intimer Umgang mit ihm mich endlich nicht nur mit dem Gesetze in Conflict bringen möchte, sondern mich auch den jägerlichen Freunden, die ich mir nun schon seit geraumer Zeit erworben hatte und denen ich mit wahrer Leidenschaft anhing, entfremden müsse, wenn sie erführen, daß ich mit ihrem Gegner fraternisire. Mit einem Worte: der Knabe Karl fing an, mir fürchterlich zu werden! Weil ich ihn deshalb mehr und mehr bei Seite liegen ließ, er mich aber zu wiederholten Malen im Walde mit einem Forstgehülfen, dem Sohne eines Revierförsters der Haide, hatte verkehren sehen, und zwar, da ich unter der Leitung meines jungen Freundes meine ersten Jagdstudien zu betreiben begann, mit Gewehr und Tasche, so mochte mich Pulverfuchs für einen Spion halten und dehnte deshalb seinen Haß jetzt auch auf mich, wie auf Alle aus, die der Jägerei anhingen. Davon machte er mir wenigstens einmal, als er mich im Walde allein traf, unumwundene Mittheilung, wie er denn überhaupt mit Auslassung seines Zornes nicht hinter dem Berge hielt. So verging er sich wider mich nicht nur mit Redensarten, als: „grünitziger Hund“, „spionirender Jägerknirps“ u. s. w., sondern er drohte mir auch noch als ich ihm scharf entgegentrat, sich thätlich an mir vergreifen zu wollen, so daß ich mich wahrhaftig genöthigt sah, den Nickfänger in die Hand zu nehmen, um für alle Eventualitäten bereit zu sein. Von da an, aber noch mehr nach einem spätern nochmaligen unmittelbaren Zusammentreffen mit ihm, wo ich mich noch dazu in Gesellschaft eines Unterförsters befand, der ihm, dem schon Gekannten, den Weg vertrat, um ihn in meinem Beisein Als verdächtiges Subject zu visitiren, wurde er mein entschiedenster Feind. Denn trotzdem ich bei dieser Untersuchung, die einen Nickfänger, Angelschnuren und Dohnen ergab – welche Gegenstände sich in diversen Löchern an der inneren Seite seiner als geheime Taschen benutzten Rockärmel vorfanden – ihm die Brücke zu treten versuchte, indem ich für ihn bat, so sagte er mir geradezu in’s Gesicht, das sei nur Verstellung von mir, denn ich sei doch nur der „niederträchtige Anstifter“ solcher Hudeleien. Drohend rief er mir, als er abgepfändet und zur Anzeige aufgeschrieben worden war, noch nach, ich sollte nur meine verdammten Knochen vor ihm in Acht nehmen, denn wenn er mich einmal zur passenden Zeit erwische, zerschlüge er mir dieselben, daß ich sie nur im Schnupftüchel heimtragen könnte! „Ruppige Jägernase!“ fügte er der Drohung, dabei giftig ausspuckend, hinzu. Ausdruck und Pantomime bezog mein Freund Förster aber auf sich und gerieth darüber so in Harnisch, daß er dem Schimpfenden nachlief, diesen nochmals packte und so lange abschüttelte, bis Pulverfuchs seinen Ausdruck dahin modificirte, daß er nur mich gemeint habe. Pulverfuchs hat indessen, wie ich es von seiner wirklichen Gutherzigkeit auch nicht anders erwartet hatte, seine Drohung gegen mich nie wahr gemacht, so oft ich noch ganz allein mit ihm im einsamen Walde zusammengetrossen bin. Er mied nur geflissentlich jede Annäherung.

    Einstmals stieß ich ganz zufällig auf ihn, als mich ein Pürschgang mit dem Förster schon vor Sonnenaufgang tief hinein in den Wald geführt hatte. Lautlos schlich ich auf dem mir bezeichneten Pürschpfade hin, während der Förster nach einem Gehau gegangen war, als mir ein tiefes Schnarchen die Anwesenheit eines Menschen verrieth, der im Dickicht sein Lager aufgeschlagen haben mußte. Darauf hinschleichend, stand ich bald vor einem in eine wollene Pferdedecke gehüllten thaunassen Schläfer, der Niemand anders war – als Pulverfuchs. Aus Neugier lüftete ich, da der obdachlose beharrlich fortschnarchte, das neben ihm liegende Bündel und fand darin außer einem kleinen Gebauer, der wahrscheinlich für junge auszunehmende Vögel bestimmt war, reichliche Lebensmittel. In einer Anwandlung von Humor breitete ich nun das Tuch, das die genannten Gegenstände umfaßte, vor ihm aus und servirte seine kalte Küche darauf, die ich noch durch ein paar Würstchen aus meiner Jagdtasche vermehrte. Auch die Flasche Nordhäuser, sowie sein „Pimpelmännchen“, – beide Erquickungen enthielt sein Fouragesack – stellte ich auf. Zum Ueberfluß legte ich noch einen aus dem Neste gefallenen halbnackten todten Eichelhabicht, den ich unterwegs gefunden und als Futter für eine Eule, die ich zu Hause besaß, eingesteckt hatte, hinzu und zog mich ungesehen zurück. Lachend schlüpfte ich dann vollends aus dem Dickicht hinaus, um meinen Pürschgang fortzusetzen. Was der Strolch über sein „Tischchen decke dich!“ gedacht haben mag, ist mir niemals kund geworden. Nur so viel weiß ich, daß der Schläfer bald aufgewacht sein mußte, denn auf dem Rückwege ging ich noch einmal an die Stelle, und – der Fuchs war aus dem Bau verschwunden!

    Von dieser Zeit an habe ich ihn niemals wieder im Walde erblickt, so oft ich auch noch hineinkam. Vielleicht, daß er den Scherz für Spuk oder Zauberei genommen und deshalb die Gegend gemieden hat, – denn abergläubisch war er wie ein Heide. Endlich, nach Jahren, sah ich ihn einmal wieder, aber nicht im Walde, sondern – in der Stadt. Da stand er vor einem Trödelhandel und feilschte um eine Reiterpistole. Um ihn durch meine Annäherung nicht etwa zu verscheuchen, trat ich der Tausenderlei bietenden Kaufhalle gegenüber in ein Haus, von wo aus ich ihn in aller Ruhe beobachten konnte. Er war ein stämmiger Kerl mit echter Vagabundenphysiognomie geworden, die seine Kleidung, welche in einer alten Soldatenjacke, in die Stiefeln gesteckten leinenen Hosen und einer böhmischen Jägermütze bestand, so recht zur Geltung kommen ließ. Außerdem trug er eine Jagdtasche, an deren Riemen er mit der Fangleine ein allerliebstes Dachshundchen gefesselt hielt. Seine ganze Erscheinung hatte den früheren harmloseren Charaker des bloßen Bummlers verloren – sie war vielmehr das echte Bild eines Wilderers geworden. Besonders machte er diesen Eindruck, als er nach böhmischer Wilddiebsart seinen Hakenstock mit dem Griff über die Achsel legte und diesen, gleichzeitig die Pistole daran anlehnend und mit erfassend, wie ein Gewehr vor sich hinstreckte, um so das „Abkommen“ der zu kaufenden Waffe zu prüfen. Bei dieser Art und Weise, ein kurzes versteckbares Geschoß zu probiren, wußte ich sofort, wieviel es bei dem Burschen geschlagen habe – er war ohne Zweifel ein Wilderer geworden.

    Später, als wieder viele Jahre verflossen waren, während welcher Zeit Pulverfuchs für mich wie von der Erde verschwunden schien, kam das verhängnißvolle Jahr 1849. Es war in den Tagen des Dresdner Aufstandes unter der provisorischen Regierung, die sächsischen Truppen, auf Succurs aus Preußen wartend, hatten die von den Insurgenten besetzte Stadt noch nicht angegriffen, so daß also der Verkehr in der Stadt dem Publicum – ließ es sich sonst nicht durch unnöthige Furcht davon abhalten – noch offen stand, als ich eines Morgens mit Interesse die aufgewühlten verbarrikadirten Straßen durchwanderte oder vielmehr durchkletterte. Da gab es malerische Gruppen wildaussehender Gesellen zu betrachten, die trotzig auf ihren kleinen Festungen, den Barrikaden, Wacht hielten. Aber auch herrliche Waffen bekam man dabei zu Gesicht, und namentlich schöne Schießgewehre und Hiebwaffen. Unter andern erblickte ich inmitten eines Kreises gut armirter Burschen eine hervorragende Gestalt, halbmilitärisch uniformirt, den Kopf mit einem österreichischen Uhlanenklapka bedeckt, die eine herrliche Doppelbüchse in der Hand führte. Im Augenblick mehr auf die kostbare Jagdwaffe blickend, hatte ich die bartstarrende Physiognomie des Inhabers ganz übersehen, als dieser mir zurief: „He, Camerad von früher, jetzt könnt’ ich Dir, Du Hund, eine bleierne Bohne auf’s Leder brennen!“ – Es war Pulverfuchs, der mich erkannt hatte, während ich den früher immer Bartlosen ohne diese nette Anrede kaum für denselben genommen haben würde. Lachend erwiderte ich, obgleich ich diesmal dem Landfrieden nicht ganz traute und deshalb schleunigst um eine Ecke schwenkte: er möge den Schuß für etwas Besseres aufsparen.

    Die Tage des Maikampfes waren vorüber, Preußens Kaiser-Alexander-Grenadiere und sächsische Truppen standen, noch pulvergeschwärzt vom eben erst beendeten Kampfe, gemeinschaftlich in den Straßen der zurückeroberten Residenz und hielten die Passage, freilich unter scharfer Controle, wieder frei. Dies benutzte ich und ging in das Innere der durch den Kampf vielfach verwüsteten Stadt, um die Zerstörungen mit eigenem Auge zu betrachten. Noch lagen die Todten auf den Straßen unter den Trümmern der zerstörten Barrikaden umher, auf denen sie kampfesmuthig gefallen waren, und mit Wehmuth erblickte das Auge die oft prächtigen Gestalten der Besiegten. Unvergeßlich aber bleibt mir die Ueberraschung, als ich an der Stelle, wo ich ihn zum letzten Male lebend erblickt – den früheren Waldgenossen, Pulverfuchs, auf blutgetränktem Straßenpflaster liegen sah. Todt – das erstarrte Herzblut von der Wunde mitten aus der Brust! Verglasten Auges war das fahle, pulvergeschwärzte Angesicht gen Himmel gerichtet – ein Anblick, von dem ich mich tief ergriffen abwenden mußte. Aufrichtige Trauer erfüllte mich über des Verirrten Tod, denn niemals war ich ihm, dem originellen Menschen, gram geworden, so weit auch unsere Wege auseinander gingen. Möge ihm die Erde leicht sein!




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