Edition Deutsch
    Library / Literary Works

    Hermann Essig

    Die Weiber von Weinsberg

    Lustspiel in fünf Aufzügen

    Personen.

    Der Graf, von Weinsberg.
    Die Gräfin, Sophie.
    Eine Schulmeisterin a. D., Schwester Gretchen.
    Achilles Launer
    , Agent einer Versicherung.
    Frau Niese, Lauffrau.
    Ricke, ihre Tochter.
    Siegfried, der Schmiedsgeselle.
    Der Hammerschmied.
    Waibel, das stehende Heer.
    Weinsbergs Einwohner jeder Art, darunter auch Herr Niese, ferner die Heinle, Rickes Rivalin mit dem Schatz und ihren Freundinnen, der Schänder und der Bürgermeister.
    Der Kaiser des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, Konrad der Dritte.
    Dessen Gesandte, worunter der Graf von Rechberg als Sprecher und der Schreiber Dottore di Bologna.
    Schwäbische Herren.


    Vier Aufzüge spielen in der Stadt Weinsberg, der fünfte Aufzug spielt auf der Weibertreu.


    Die Zeit ist Winteranfang a. d. 1140, die Szene gibt sich so wenig als die Personen in ihren Kostümen Mühe mittelalterlich zu erscheinen, beide halten sich an die Gegebenheiten der Jetztzeit.

    Erster Aufzug.

    Personen: Schwester Gretchen; Achilles Launer; Frau Niese, Ricke; Siegfried; Waibel; der Graf; die ledige Jugend hinter der Szene.

    Szene: die Altjungfernstube von Schwester Gretchen darin wesentlich eine Himmelbettlade.

    Zeit: Nachts.

    Schwester Gretchen (beim Auskleiden, in der Nachtjacke, Nachtlicht auf dem Tisch) Ich will zu Bett gehhen. – Ich bin so unruhig heute. – Ist’s der Feind vor dem Städtchen oder die Spannung in mir? – Heute bin ich noch neunundvierzig, morgen schon fünfzig. – – Meine Ruhe ist ffort, sie ist weg, mein Wunsch nach Liebe ist nicht erfüllt, kein einziges Mal bis heute. – – Ich wollte nicht fünfzig werden, eh es war. Das ist die Grenze, habe ich mir gesagt, von der ab es immer schwieriger wird. In der Jugend zu spröde, als Fräulein zu stolz, und jetzt zu sehnsüchtig, zu sehnsüchtig. Wer tritt ein?

    Frau Niese Ich … ich, Fräulein Gretchen.

    Schwester Gretchen Sie … Frau Niese … was führt Sie her? Ahne ich recht?

    Frau Niese Leise, leise! Fräulein Gretchen, Herr Launer will nebenan schlafen.

    Schwester Gretchen – Ich hatte auf heute etwas anderes von Ihnen und einem Herrn erwartet.

    Frau Niese Er versteht jedes Wort … die Wände sind spanisch.

    Schwester Gretchen Spanisch!! Nur eine pappdeckeldicke Wand trennt mich von einem Herrn. Frau Niese, Frau Niese, wie mich das erhebt, morgen ist mein fünfzigster Geburtstag.

    Frau Niese G’rade Sie meinen, wenn das Pappdeckelchen nicht zwischen wäre.

    Schwester Gretchen Jha das mein ich.

    Frau Niese Seh’n m’r was sich machen läßt.

    Schwester Gretchen Alles hoff ich. Ich wollte nicht fünfzig werden ohne es einmal, nur auch einmal, gehabt zu haben.

    Frau Niese Leise, leise, er hustet.

    Schwester Gretchen Ich muß aber meiner Leidenschaft ungestört nachgehen kkönnen … deswegen wohne ich hier.

    Frau Niese Der Herr meint’s nicht böse … nur bedenken Sie, der Herr Launer ist Junggeselle und wenn er dann nebenan das Weibliche, das er eben vermißt, so spektakulieren hört, so haut’s den Spund hinaus … machen Sie’s vielleicht ’n bißchen inniger in der Brust.

    Schwester Gretchen Ist denn das möglich? … die Menschen laufen umeinander und wohnen beieinander und wissen’s nicht. Sie wissen’s nicht. Sagen Sie etwas zu dem Herrn!

    Frau Niese Schickt sich das?!

    Schwester Gretchen Der Herr nebenan leidet.

    Frau Niese Dem Herrn geht nichts ab.

    Schwester Gretchen Das weiß ich … aber weil ich morgen fünfzig werde.

    Frau Niese Ja … ja.

    Schwester Gretchen Und ich heute noch neunundvierzig bin.

    Frau Niese Ju … ju, so fehlt Ihnen was.

    Schwester Gretchen Ich halte dieses Alter für den Wendepunkt im Leben eines Mädchens.

    Frau Niese Ganz recht, ganz recht … das halt ich auch.

    Schwester Gretchen Mein Wunsch nach Liebe wurde noch nie erfüllt.

    Frau Niese ’r is ’s aber auch nie!

    Schwester Gretchen Und wenn Sie mich ansehen wollen, ich könnte was von Glück ertragen.

    Frau Niese Hätten Sie’s bloß ’n bißel früher gesagt, nicht so auf die knappe Minute … ’s erfordert doch allens sein Besinnens.

    Schwester Gretchen Die Scham hielt meinen Mund geschlossen.

    Frau Niese Gescheit nenn ich das.

    Schwester Gretchen Aber zu Ihnen rede ich Frau Niese.

    Frau Niese Das ist Ihre Menschenkenntnis. So was muß sich zart machen im Geheimen. Ist der was rechts, dem ’s Geplapper aus dem Mund fällt wie’n falsches Gebiß?

    Schwester Gretchen Nein – aber wie fangen Sie das dann an? –

    Frau Niese Man schweigt.

    Schwester Gretchen Wie soll dann aber der Herr meine Liebe … meine unaussprechliche Liebe zu ihm erfahren?

    Frau Niese Das fühlt er.

    Schwester Gretchen Seine hübsch gescheitelten Haare, seine guten treuen Augen, sein leidenschaftlicher Mund, sein lieb stutziges Bärtchen, die prächtige goldene Uhr …!

    Frau Niese Sie bleiben vor Respekt stehen, zählen Se ruhig weiter.

    Schwester Gretchen Das hat mich alles an dem Herrn entzückt! so daß ich ihn liebe. (Es pocht an die Wand, die beiden prallen auseinander wie gestörte Katzen, Frau Niese ab. Schwester Gretchen geht mit Gespensteraugen auf die Wand zu.) Wie?! … das war ein Zeichen … er hofft auf Antwort. Wenn ich aber jetzt klopfe, so ist mein keuscher Wandel dahin. Wie das kämpft! in mir kämpft! Wenn ich es aber will, so muß ich überwinden. (Sie klopft und springt von der Wand, es pocht sehr heftig dagegen.) So heftig! … es ist eben ein starkes männliches Geschlecht. – (An der Wand horchend.) Er steigt, ich glaube, schon aus dem Bette. Mir wird Angst, ich höre Tritte. – Wahrhaftig er kommt. – – Atem halte aus!

    (Launer in Zipfelmütze und Schlafrock, unter welchem bloße Füße in Pantoffeln steckend hervorgucken.)

    Launer Ja wissen Sie liebes Fräulein, das verbitt ich mir allerhöflichstens, daß Sie mir die Nachtruhe rauben. Sie machen in der Nacht ein Geschrei wie die Gänse des Kapitols zu Rom vor tausend und mehr Jahren.

    Schwester Gretchen Sie haben zuerst geklopft, Herr Launer.

    Launer (räuspert sich) Ach so! Sie faßten es als Galanterie auf. So wären Sie also bereit?

    Schwester Gretchen Gottes Mühlen mahlen langsam, warum denn so rasch?

    Launer Sie hatten neunundvierzig Überlegejahre.

    Schwester Gretchen Herr Launer Sie verwirren mich.

    Launer Ja wissen Sie, wenn’s Ihnen nicht ganz aus dem innersten Herzen kommt, so kann ich darauf nicht eingehen. Ich habe schon so viel geliebt, aber stets nur das allergefügigste unter der goldenen Sonne.

    Schwester Gretchen (kniet) Ich stürze mich vor Ihnen in die Kniee.

    Launer Das freut mich, daß Sie die edelsten Beispiele nachahmen. Ich werde Ihnen morgen antworten lassen, ob ich Sie erhöre.

    Schwester Gretchen Ich hatte gedacht – gleich.

    Launer Ich bin leider ganz unvorbereitet, auch habe ich augenblicks ganz schrecklichen Hunger. Wir haben ungewöhnlich schmale Kost in der Traube seit der Feind vor dem Städtchen liegt.

    Schwester Gretchen Darf ich was aufwarten, damit’s Ihnen zuschießt, Herr Nachbar?

    Launer Sie sind zu gütig, meine Magenverstimmung ist ein chronisches Leiden.

    Schwester Gretchen Legen Sie sich etwas nieder, dann laß ich Tropfen holen.

    Launer Danke, die helfen bei mir nun gar nicht, Sie haben einen ungewöhnlich starken Alkoholiker vor sich, der ziemlich giftfestes Blut hat.

    Schwester Gretchen Ich versuche meine Naturheilmethode.

    Launer Diese könnte einschlagen, aber Sie sind ein Engel von Güte, ich muß Ihnen für alles danken.

    Schwester Gretchen (Handkuß) Warum denn? … genieren Sie sich gar nicht vor mir! ich habe keinen Stolz, wertester Herr.

    (Die Tür wird aufgestoßen, es prallt jemand mit Aufschrei davor zurück, lauter Lärm wie beim Haberfeldtreiben, die Fenster werden mit lächerlichen Gegenständen eingeworfen.)

    Launer Dieser Jubel!

    Schwester Gretchen (aufgestanden) Was ist das? … meine Fenster!

    Frau Niese Gehen Sie nicht hin! Die Splitter spicken Ihr Fleisch.

    Schwester Gretchen Haben Sie mir das verschafft, Frau?

    Frau Niese Darum erreg ich mich?! Man löscht halt sein Talglicht.

    Launer Ich wollte Ihnen das vorhin nicht sagen, daß Sie eigentlich sehr unanständig sind, aber Sie werden meine ablehnende Haltung jetzt begreifen.

    Schwester Gretchen Wenn ich jetzt das Licht auslöschte!

    Frau Niese (schützt das Licht) Alles zu seiner Zeit hat schon der Salomo gesagt.

    Schwester Gretchen Der Lärm wird wieder stärker, gehen Sie Herr Launer, Sie sind zu mir herübergekommen. – Ich bin es gar nicht, der Herr ist’s!! – Wer weiß was geschehen wäre, wenn ich geschlafen hätte!

    Launer Sie haben sehr Pech ältliches Fräulein.

    Schwester Gretchen Ältlicher Herr!

    Launer Fünfzigjähriges Fräulein! (Ab.)

    Schwester Gretchen (Lärmmaximum) Nicht wahr ist’s!! (In Zimmermitte.) Es ist nicht wahr.

    Frau Niese (tritt mit dem Licht an’s Fenster, es wird still) Ich bitte um Ruhe. (Gelächter.)

    Schwester Gretchen Mein Taufschein weist es aus, morgen ist es erst.

    Frau Niese Darum ist heute Polterabend … das ist die Geschichte.

    Schwester Gretchen Ich gehe auf’s Rathaus und beschwere mich.

    Frau Niese Der Herr Bürgermeister schläft schon.

    Schwester Gretchen Ich läute ihn heraus, ich will Fenstergeld.

    Frau Niese Die vielen Geburtstagsgeschenke sehen Sie sich aber auch vorher an! (Die Scherben unter ihren Füßen.)

    Schwester Gretchen Ihre Feier Frau, soll mich keinen Pfennig kosten!

    Frau Niese Meine Feier?!

    Schwester Gretchen Ja, Ihre Feier. (Stößt sich in ihren Rock.)

    Frau Niese (auflesend) Ich schweige … und so gehen Sie auf die Straße? (Schwester Gretchen rennt, den Rock noch weiter schüttelnd, unbesonnen hinaus, bald erhebt sich in der Gasse eine Jagd wie auf einen Marder.) So was täppischem läßt sich nichts zurichten! – Das ist verrückt.

    Launer (angelatscht) Dieses Mal wird sie gesteinigt.

    Frau Niese Das ist in der göttlichen Weltenordnung.

    Launer Sorgen Sie aber dann, daß dieses Zimmer an einen Herrn vermietet wird.

    Frau Niese Ich freue mich noch nicht. (Mit dem Besen zusammenkehrend.) ’n bißchen weg da.

    Launer Es ist gerade als ob der Feind hier gehaust hätte.

    Frau Niese G’rade denk ich’s … wer weiß es, ob in Tagen nicht alle Fenster im Städtchen kaputt geschlagen sind!

    Launer Das kann alles möglich sein … jedoch ob bei obwaltender Begeisterung Kaiser Konrad Weinsberg nehmen wird, muß ich in das Tuch des fragenden Zweifels hüllen, denn es ist ein schönes Zeichen für die wehrbare Jugend unserer Stadt, daß sie zu den glänzendsten Scherzen den Tod durch Feindeshand vor Augen aufgelegt ist.

    Frau Niese Sie sind aufgelegt, die aber haben dem alten Schleichwolf den Geburtstag doch mit ’n bißchen viel Bitternis gepfeffert.

    Launer Bedauern Sie’s nachträglich?

    Frau Niese Ni ni! – aber so mein ich, Ihnen vermögen die Feinde kein Äderchen zu ritzen, wenn Sie alleweil mit der Zipfelhaube umanand steigen.

    Launer Mißfällt Ihnen das? Sie ist ein Symbol bürgerlichen Hausfriedens.

    Frau Niese Ganz gemütlich wär’s, würden se nicht – währenddessen Sie’s Gretchen hetzen – draußen den kalten Rasen temperieren.

    Ricke (stürzt herein in wilder Angst) Mutter kannst du mir nicht den Siegfried verstecken? Der Graf und der Waibel gehen um und alle Männer müssen den Panzer anlegen und in’s Feld ziehen.

    Launer Alle Männer!?

    Ricke Die verkrüppelten nicht.

    Launer Zu welchen zähle ich?

    Ricke Mutter, sag mir rasch, wo ich mit Siegfried hin soll, daß er nicht mit muß? Mutter ’r ist mein Verlobter, ’r ist so eine Ausnahme von einem Manne, du mußt ihn mir verstecken Mutter, daß m’r ’n nicht find’t.

    Frau Niese Schon wollt ich anfangen, um ihn zu heulen, da kommst du.

    Ricke Wohin denn? In’n Faß oder in eine Dunggrube oder in’s Wasserrad? Du bist so lahmdenkig Mutter.

    Frau Niese Die besten Verstecke sind oft die dümmsten.

    Launer Das ist sehr wahr. Aber darf ich Ihnen eines anvertrauen? was ich weiß. (In die hingehaltenen Ohren.) Der Herr Graf hat mir’s am Stammtisch gesagt, so einen Goliath wie den Siegfried nähme er aus strategischen Gründen am liebsten nicht mit.

    Ricke (beleidigt) Seinen stärksten!

    Launer Gerade deshalb, er verwickele ihn zu tief in das todspendende Treffen … Ich will Sie nicht beleidigen, das liegt mir fern wie mein unschuldiges Jugendjahr.

    Frau Niese Als weiter! nicht unglaubhaft.

    Launer Wenn ihm nur jemand einen passenden Grund verschaffte, ihn zu Hause zu lassen, den er vor seiner ungewöhnlich strengen und kriegerischen Frau verantworten könnte!

    Frau Niese Das trifft sich. Wir tun also nichts Böses.

    Launer Es darf nur nicht auffallen und keine Entdeckung stattfinden.

    Ricke Das wissen m’r selber, das ist ein altes Gepappel.

    Launer Darum müssen wir ihn so verstecken, daß er – selbst wenn er gefunden wird – kriegsuntüchtig ist. (Kratzt sich mit einem Finger im Haarscheitel.)

    Frau Niese Saufen muß ’r!

    Ricke Mutter, was denkst! … das verdirbt ihn.

    Launer Beispiele stehen vor Ihnen, Fräulein.

    Ricke O Schauder! mein Schatz!

    Frau Niese Man füllt ihn uff wie’n herbstdürstiges Faß. Aber wo?

    Launer Hier.

    Ricke Dann nicht! … hier nicht! … lieber stirbt ’r den Reiterstod.

    Launer Sie werden auf solch ein altes Fräulein nicht eifersüchtig sein, sehr hübsches Mädchen!

    Ricke Wie kann man nur druff kommen!

    Frau Niese Wer möchte gleich den vielen Wein bezahlen! als wie die Schulmeisterin.

    Ricke Und hier soll man ihn verstecken! Mutter, du hast auf das Bett geguckt.

    Frau Niese Vertrau deiner Mutter, die weiß wie man’s Feigenblatt schnürt.

    Ricke Mutter, da bin ich nicht einverstanden. Denk auch an nachher, was es da heißt.

    Launer Wenn Sie so reden! … es heißt an die gegenwärtige Notwendigkeit zu denken! Zu viel Alkohol bringt alljährlich zehn Prozente der mannbaren Jugend von den Brüsten der Kriegsgöttin.

    Ricke Ja. Aber macht das bloß hier nicht!

    Launer Hier, bei dieser Jungfrau wird er am wenigsten vermutet.

    Frau Niese Und von ihr ist’s „Fahnenentziehung“??

    Launer Wenn er entdeckt wird.

    Frau Niese Sie tut was Böses.

    Launer Darnach streben wir zugleich.

    Frau Niese Bedenk! das Böse, das die Gretchen tut.

    Ricke Na Mutter, das verlockt mich nicht.

    Launer Sie kann dafür leicht gerädert werden.

    Frau Niese Also jetzt ist’s Beschluß … ich hole den Wein, geh du und hole deinen Bräutigam. (Ab. Hinter ihr Launer.)

    Launer Die Gretchen wird ja doch leider ungesteinigt zurückkehren. (Ab.)

    Ricke Ebensowenig wird sie gerädert. Das ist so eine Lockung. Ich hol ihn neet. Na. Mein schöner Siegfried zu der versandeten Muschel! Das kann bloß so’n alter ausgeschmörgelter Sünder aus seinen kalten Schnapsfingern träufeln! Ach Gott! warum hab ich das auch nicht alleine geschafft! … wenn man so eine Mutter hat! die Jesuiten sind besser.

    Frau Niese (mit schwerem Krug) Du bist noch da, dann aber lauf!

    Ricke Tätst du deinen Schatz einer alten Jungfer ablassen?!

    Frau Niese S’ ist eine Versuchung, aber du wirst ihn behalten.

    Ricke Wenn eine andere d’ran war … dank d’rfür.

    Frau Niese Das eine bedenk! … Siegfried haut in den Feind als wie ein Löwe und eine Löwenheftigkeit kost’t stets das Leben … das spricht die Mutter. (Kaut an dem aus der Schublade genommenen Brot.)

    Ricke Die Staufen müssen auch gerade jetzt kommen! Wär ich schon zehn Jahre älter!

    Frau Niese Siehste, du weißt nichts Besseres.

    Ricke Wenn ich den Krug ansehe und dann das Bett! … Soll ich denn, Muatter?

    Frau Niese Wenn dir sein Leben lieb ist, … darnach entscheid!

    Ricke Wie soll ich’s ihm bloß plausibel machen! daß er hergeht.

    Frau Niese Du warst sonst immer ganz gewandt.

    Ricke (seufzt) Was lügt m’r!? (Ab.)

    Frau Niese (mit vollem Maule einen Bissen abreißend) Mit so viel Bekümmernis um das Mädel hab ich noch nie ’n Kanten Brot alle gemacht. – Und gar! Da kommt sie!

    Schwester Gretchen tritt ein, läßt den Rock fallen und schnauft auf. Sie sieht den Weinkrug, geht zielbewußt darauf los, steckt den Finger hinein und leckt.

    Schwester Gretchen Wein! … neuer Wein! … wer kommt zu mir?

    Frau Niese (wird bemerkt) Sie haben Einladung Fräulein Gretchen.

    Schwester Gretchen Hoffentlich nicht meine Freundin!

    Frau Niese ’N Mann.

    Schwester Gretchen Ich dachte schlimm über Sie, Frau Niese und nun sammeln Sie feurige Kohlen auf mein Haupt?

    Frau Niese Deswegen ist’s. Ihr Ungeschick Fräulein stieß mich in die Brust.

    Schwester Gretchen Wer soll denn mein willkommener Gast sein?

    Frau Niese Der Schmiedsgeselle Siegfried. (Bricht ihr Brot)

    Schwester Gretchen Der Schmiedsgesellle??

    Frau Niese Der Ricke Bräutigam.

    Schwester Gretchen Was veranlaßt ihn, sie zu verlassen?

    Frau Niese Händel, er hat von seinem Wohlgefallen für Sie zu ihr gesprochen.

    Schwester Gretchen Die Liebesglut meiner Augen hat die Herrschaft über ihn gewonnen. Mein ganzer Blick auf ihn war anziehende Liebe, die hat er gespürt.

    Frau Niese Für meine Ricke ist’s eine herbe Wendung.

    Schwester Gretchen Bei der Liebe spricht eben das Herz und nicht der Verstand.

    Frau Niese An dem fehlt’s ihm eben.

    Schwester Gretchen Und doch möcht ich’s nicht einmal sagen. Kommt er denn gleich zu mir?
    Frau Niese Wenn er aber kommt, diesmal festhalten … wieder gibt’s das nicht! … Sie haben heute etwas haben wollen, ich gebe mir schon das zweite Mal Mühe.

    Schwester Gretchen O diesmal will ich!

    Frau Niese Ich hole immer den Wein und Sie lieben.

    Schwester Gretchen Reicht dieser Krug nicht?

    Frau Niese In der Liebe gibt’s keinen Geiz. Wenn Sie so anfangen! … Sie wollen das Glück nicht haben. Die Vernunft müßt das Fräulein mit den Jahren empfangen haben, daß es weiß, daß in Nüchternem nichts mehr für Sie zu erobern ist, daß da ein Nebel mithelfen muß, der Sie in den Schleier der Jugendhaftigkeit hüllt.

    Schwester Gretchen Halten Sie mich nicht für so abstoßend!

    Frau Niese Zanken wir uns jetzt nicht! … sondern halten wir Eintracht!

    Schwester Gretchen Er ist ein Bube und mir klopft das Herz!

    Frau Niese Lassen Sie mich schnell verduften! – nicht gleich zu stürm! (Ab.)

    Schwester Gretchen Aber auch nicht zu zaghaft will ich sein.

    (Siegfried tritt ein, ein halber Herkules im Kettenhemd.)

    Siegfried Da bin ich. – Was wollen Sie von mir?

    Schwester Gretchen (zischend wie eine Natter) ss’ist lieb von dir daß du zu mir kommst, ichch hatte Seehnsucht, seei so gut und nimm Platz!

    Siegfried (setzt sich auf den dünnen Stuhl) Was soll ich da? – – (Sieht sich um.)

    Schwester Gretchen (rückt an ihrer Kleidung herum) Ttrinken …

    Siegfried Lange Zeit hab ich nicht … ich muß mit dem Grafen.

    Schwester Gretchen (bestürzt) Mit in’s Feld? das ist aber ungeschickt … ein kleines Schlückchen.

    Siegfried Ich will so frei sein … Durst hab ich. (Setzt an.)

    Schwester Gretchen (innig) Zu deinem Wohl! – –

    (Siegfried hat den Krug geleert, schüttelt das letzte Tröpfchen heraus … Gretchen weiß nicht, wo Halt finden … Er wischt sich den Mund, steht auf.)

    Siegfried Ich muß wieder fort … ich kann mich nicht uffhalten. Ich dank auch schön für’s Lebewohl.

    Schwester Gretchen War’s so gemeint?! … (Hauchend.) Frau Niese!

    Frau Niese Den andern Krug!?

    Schwester Gretchen Frau Niese, er will gleich wieder gehen, er müsse in den Kampf!

    Frau Niese Kümmern Sie sich um Heeresangelegenheiten? tun Sie das?!

    Siegfried Muatter, wir kleiden uns ein.

    Frau Niese Was da! da trinkst noch ’n Krügchen, das Fräulein hat ’n gutes altes Gewächse.

    Siegfried Wenn’s erlaubt ist.

    Schwester Gretchen (küßt ihn) Du hast so ein liebes Schnäuzchen.

    Siegfried (wischt den Mund) Muatter, sag’s der Ricke nicht, sie faßt es auf.

    Frau Niese Diesmal sind Sie herzhafter. (Lachend ab mit dem Krug.)

    Schwester Gretchen Ich bin ein Fräulein und reiche den Scheidetrunk wie jedes andere Mädchen.

    Siegfried Sie waren doch meine Lehrerin.

    Schwester Gretchen Du bist ein Mann geworden und ich bin ein Mädchen geblieben. (Will ihn küssen.)

    Siegfried (abwehrend) Ich hab’s meiner Ricke versprochen …

    Schwester Gretchen Das ist mein gutes Recht, du lieber, du guter!

    Siegfried Auf so was war ich nicht gefaßt.

    Schwester Gretchen Mache dir’s bequem und lege dein eisernes Hemd ab!

    Siegfried Die Ricke hat gesagt, ich soll es anbehalten.

    Schwester Gretchen Du hast eine freiere Brust zum Atmen.

    Siegfried (riecht in’s Zimmer) Ist das Mottenpulver?

    (Frau Niese mit dem zweiten Krug und einem Helm unter dem Arm.)

    Frau Niese Da nimm, den hat mir die Ricke mitgegeben, du sollst ihn uffsetzen und die Maullasche fallen lassen.

    Schwester Gretchen Das war aber unbedacht von Ihnen, ich kann ihn gar nicht mehr küssen.

    Frau Niese Die Ricke hat’s so verordnet … Sie hätten ihn lange genug alecken können.

    Schwester Gretchen Das ist die Mißvergunst von dem Mädchen.

    Frau Niese Aber nimm zuerst ein Schlückchen.

    Siegfried Aber Ende dieses geh ich. (Er trinkt.)

    Frau Niese Es eilt ihm wie Reisefieber.

    Schwester Gretchen Kann er das ertragen?

    Frau Niese Sie sind eine wirklich knickerige Dame.

    Siegfried Nummero Zwei und Schluß.

    Frau Niese Jetzt setzst du den Heim aufs Traktätchen. Das Fräulein hat sich für dich verausgabt, jetzt wirst du nicht so unanständig sein und ohne allen Anschluß davonlaufen.

    Siegfried Sie müssen’s eben dann sagen, wenn’s genug ist. Ich weiß ja nicht, wie viel Sie anlegen wollen. (Setzt den Helm auf.)

    Schwester Gretchen Alles! – um dein Herz zu gewinnen.

    Frau Niese So … das ist eine Sprache. (Mit Krug ab.)

    Siegfried Nicht so laut, wenn’s Ricke hört, holt sie mich und ich hab ausgetrunken.

    Schwester Gretchen Deine Ricke gönnt dir nicht viel.

    Siegfried Sie hütet mich halt, weil sie sagt, in meiner Gutmütigkeit nützten mich die Menschen aus.

    Schwester Gretchen Ich mein es aber gut mit dir. Willst du nicht auf den Sofa sitzen? … er ist weicher.

    Siegfried Bequemer wär’s … aber ich darf nicht.

    Schwester Gretchen Deine Ricke ist hart zu dir.

    Siegfried Sie meint halt, das schicke sich nicht, wenn man sich’s bei den Leuten zu bequem mache.

    Frau Niese (mit dem dritten Krug) Wie benehmen Sie sich denn Fräulein Gretchen?

    Schwester Gretchen (leise zu Frau Niese) Nicht zu viel, sonst … könnt’s zu viel sein!

    Frau Niese Ich kenne das Maß. Und dir ist’s behaglich in deinem Gehäuse?

    Siegfried Muatter, wenn’s aber damit den Anstand erreicht hätt, wäre mir’s recht. (Trinkt.)

    Frau Niese Erst trinkt man, dann red’t man.

    Schwester Gretchen Wie soll ich ihm meinen Wunsch nahe legen?

    Frau Niese Da hat’s noch der Weil.

    Siegfried Nummerrro drrei. Sauer. (Die Maullasche fällt.)

    Frau Niese ’s ist eine egale erste Sorte.

    Siegfried Mutter, darf ich jetzt gehen?

    Frau Niese Ich will die Ricke fragen … bleib schön da sitzen! ’s wäre möglich, daß sie selber mitkäme.

    Siegfried Ja, sag’s ihrr!

    Schwester Gretchen Aber nicht die Ricke!

    Frau Niese (selbst erregt) Fräulein, mir wird vertraut … Sie sollen an mir nicht zweifeln! Seine Verfassung macht’s nötig, sonst läuft ’r Ihnen davon. (Ab … rasch.)

    Siegfried Sagst’s d’r Ricke!

    Frau Niese (tritt noch einmal an ihn) Ja freilich, sag ich’s deiner Ricke. Sie kommt zu dir herauf. Reden Sie nur allfort von ihr. (Ab.)

    Schwester Gretchen Deine Ricke ist bös.

    Siegfried Rickcke.

    Schwester Gretchen Deine Ricke ist grausam.

    Siegfried Rickckcke. Ich soll mich, wenn ich schon viel tue, aber ja nicht in Ihr Bett legen – –

    Schwester Gretchen – – – An das denkt er. Du wirst krank, wenn du’s nicht tust. Hör nicht d’rauf!

    Siegfried Sie weiß es eben nicht, wie mir’s … jetzt ist.

    Schwester Gretchen Auch das … wenn sie’s wüßte, würde sie vielleicht sagen, lege dich in’s nächste Bett!

    Siegfried So mach ich’s. (Steht auf und setzt sich langsam bedächtig auf die Bettkante.)

    Schwester Gretchen Ich hebe deine Füße hinein.

    Siegfried Laß!

    Schwester Gretchen So nahe an der Erfüllung! … das kleine Wenig ist noch das Meiste! …

    Siegfried Mir ist jetzt alles eins.

    Schwester Gretchen Jawohl … darum leg dich.

    Siegfried Sie!?

    Schwester Gretchen Er will mein Vorleben kennen lernen. Ich will dir alles vorher erzählen, damit nichts zwischen uns ist. Ich war bisher eine mit Unrecht Verstoßene.

    Siegfried Sie!?

    Schwester Gretchen Wie er mich anblickt! Ja ich. Ich will ganz offen alles bekennen. Ich wurde meines Amtes als Lehrerin ganz ungerecht suspendiert. Ich habe meinem Herrn Dekan einen Heiratsantrag gemacht, der Mann war Witwer, da dacht ich, es wäre ganz geschickt, aber der Herr ließ es sich nicht gefallen, schrieb an’s Konsistorium und ich wurde suspendiert.

    Siegfried Sus–pendiert. (Senkt den Kopf.)

    Schwester Gretchen Es ergreift ihn … oh ich bin glücklich, daß ich ihn habe. Die andern Menschen hören meine Geschichte mit Lachen.

    (Frau Niese ist mit Ricke, die einen Panzer trägt, unvermerkt eingetreten.)

    Frau Niese Im Rausche wird einem manches klarer.

    Schwester Gretchen Was bringen Sie?

    Ricke Seinen Panzer.

    Schwester Gretchen Sie wollen ihn doch rüsten! … ich bin ja so nahe daran.

    Ricke Der Feind ist nahe.

    Schwester Gretchen Frau Niese, muß ich’s Ihnen zurückrufen?

    Frau Niese Ihnen gebe ich jetzt beinahe keine Antwort mehr! Ricke, geregt … den Panzer umgelegt … die Beinschienen geschnallt.

    Schwester Gretchen Dagegen protestiere ich.

    Ricke (vergnügt) Nix protestiert!

    Schwester Gretchen Ich möchte den vielen Wein nicht umsonst bezahlt haben.

    Frau Niese Wer denkt da noch an’s Geld? (Geschäftig.)

    Schwester Gretchen Ich … die’s bezahlt hat.

    Ricke Mutter, ich schnalle ihn so fest … Mutter, du bist halt doch guat.

    Frau Niese Weißt Mädel, du kommst auf mich.

    Schwester Gretchen Ich verlang den Wein wieder.

    Frau Niese Wie Sie den abzapfen, steht Ihnen frei.

    Schwester Gretchen Ich war zu schüchtern. – Wäre ich damals bei dem Herrn Dekan einfach hineingetreten, und hätte ihn geküßt, so wäre gewiß manches anders jetzt!

    Frau Niese Im Irrenhaus wären Sie dann.

    Launer (schlürft herein) Machen Sie da das Richtige?? meine Damen?

    Schwester Gretchen Das Falsche, so kommt mir’s auch vor.

    Frau Niese Der Graf mit dem Waibel können kummen.

    Launer Sie werden ihn einfach auf den Gaul binden. Der Herr ist schon gänzlich reisefertig.

    Frau Niese Wenn es nur Sie nicht sind.

    Launer Uh … uh wenn ich dienen müßte! so in der Kälte draußen herum stehen … Es ist sehr einsichtsvoll an mir vorbeigegangen.

    Frau Niese (zu Ricke) Bist du fertig?

    Launer Sie unterbinden ihm ja den Lauf des allernotwendigsten Blutes.

    Ricke ’s handelt sich für mich bloß um eins! um eins!

    Launer Ich beginne zu vermuten, ja dann … ja, verzeihen Sie meine Interpretation.

    Frau Niese Fertig! (In ihrer Person hört sie auf zu schnüren.)

    Schwester Gretchen Er kommt nicht hinaus … diesesmal halte ich fest.

    Frau Niese Was regen Sie sich uff? … er bleibt ja da.

    Schwester Gretchen Da? … wie? … so? … da??

    Frau Niese Da wie Soda. Lebhaft Ricke!

    Ricke Die Riemen bringen weiche Fingerchen nicht auf …

    Schwester Gretchen Ricke, erfaß ich dich?

    Siegfried (kläglich) Versteht mich! … versteht mich! …

    Frau Niese Das haben m’r vergessen … was! werfet ihn über! zugefaßt Herr Launer! (Gemeinsame Arbeit.)

    Ricke Aber uff’s Gesicht!

    Schwester Gretchen Nun liegt er drinn! …

    Frau Niese Hinaus jetzt Bagage! … da ziehn m’r hübsch zu … so … (Gegen Gretchen, Schweiß wischend.) Sind Sie jetzt zufrieden?

    Schwester Gretchen Sie sind doch eine brave Frau.

    Launer So darf ich jetzt, irritiertes Fräulein, zum Fünfzigsten gratulieren.

    Schwester Gretchen (matt) Fünfzig ist jung.

    Ricke Wenn.

    Frau Niese Dein loses Maul! geh heim und sieh nach dem Alten. (Ricke und Launer ab.)

    Schwester Gretchen Gehen Sie nicht endlich?

    Frau Niese Meinen Sie, will ich noch sagen, ’s wär eine kleine Schande für Sie, wenn se bei Ihnen n’ Mannsbild fänden.

    Schwester Gretchen Ich lasse niemand heran.

    Frau Niese Ja, da wissen Sie das wohl noch gar nicht, daß der Graf mit dem Waibel ein jedes Haus absucht.

    Schwester Gretchen Sie sagen!

    Frau Niese Darum, damit’s keine Blamage für Sie gibt.

    Schwester Gretchen Ich muß alles aufbieten, um ihn den Werbern zu entziehen?

    Frau Niese Wie Sie es sagen.

    Schwester Gretchen Dann gehen Sie, Frauchen.

    Frau Niese Ihre Ehre steht auf dem Spiele. (Ab.)

    Schwester Gretchen Fast wollte ich, die Ronde würde ihn entdecken … ich war so lange das Aschenbrödel. (Sie zieht die Vorhänge am Bett etwas auseinander und steht betrachtend.) So schöön ist ein Ritter in meinem Bett! – – Die Riemen, ich werde sie schon aufbringen, daß ich ihn ausziehen kann, – – Ricke! – – Aber halt! Frieden jetzt in meiner Brust! Ich bin in der Erfüllung. – – Meines Lebens schönster Augenblick.

    Es poltert jemand die Treppe herauf. Gretchen läßt die Vorhänge zufallen, mit der letzten Faltenregung im Vorhang guckt der Waibel mit aufgeworfenem Schnauzer zur Türe herein … der Graf draußen befiehlt mit schnarrender Stimme: Eintreten! Der Waibel macht ein paar bedächtige Schritte, so daß der Graf herein kann. Launer guckt faunhaft durch den Türspalt.

    Graf (eingetreten) Die Schulmeisterin macht keine Ausnahme.

    Schwester Gretchen wächst größer, an dem Verstummen der Eingetretenen läßt sich ein günstiger Ausgang für Gretchen erraten. Bei einer rücktretenden Bewegung des Grafen fährt Launer zurück, er merkt seinen Unbedacht.

    Vorhang.

    Zweiter Aufzug.

    Personen: Graf, Gräfin; Schwester Gretchen; Launer; Siegfried; Ricke, Frau Niese; Schmied; Waibel; Soldaten und Volk (worunter die Heinle mit ihren Freundinnen).

    Szene: Die Schmiede im Städtchen mit weitem Toreingang. Die Torflügel stehen in die Szene auf. Ein großer Hammer streckt seinen Kopf herein. Schmiedefeuer und Esse, Blasebalg. Zwei Ambosse. An den schwarzen rußigen Wänden Schmiedegerät (große Zangen und dergleichen). Ein Harnisch liegt im Feuer. Die Schmiede ist zu einer Hilfsrüstkammer geworden.

    Zeit: frühmorgens, nach Mitternacht. Lampenlicht.

    Schmied (fluchend an der Arbeit … Frau Niese bedient das Feuer mit fabelhaftem Ernst) Nixnutziges Weibergesindel, was habt ’r wieder an meinem Gesellen ausgeheckt, Weibergesindel, verbrenn’s nicht alte Heilige. (Zu Frau Niese.)

    Frau Niese (zieht den Blasebalg, daß er faucht) Wo hilft gleich eine Mutter für den Tochtermann?

    Schmied ’n Kreuz ist’s ohne Zuschläger. – Wo habt ’r ’n denn versteckt? – ’s wird schon an den Tag kommen … fauch du nur in dein Feuer … Weibergesindel (besieht sein Arbeitsstück und wirft’s beiseit an den Boden).

    Frau Niese Schmied, ’s stinkt.

    Schmied (eilt an’s Fenster, stößt Frau Niese beiseite, dreht das Stück, kehrt mit dem Besen um’s Feuer) Wenn man das wüßte. (Greift ihr an die Stirn.)

    Tumult. Der Schmied nimmt den Harnisch aus dem Feuer und arbeitet an seiner Fasson. Der Lärm wird stärker. Launer umringt von Gepanzerten, dem Grafen, und wenig Volk, darunter Ricke.

    Launer Es ist eine Todsünde, Herr Graf sind Sie kein Mensch? Kein Mensch, sind Sie kein Mensch? Kein Mensch. Sie werden mir den Panzer nicht glühend um den Leib legen, ich bin Asche, ehe ich vor dem Angesicht des Feindes erscheine. Herr Graf, Sie sind ein Unmensch, ein Narr, ein vermaledeites Subjekt, (tobt) ich werde mich sträuben, einen feurigen Panzer anzulegen. Ich verbrenne, sehen Sie das nicht ein, Sie gräfliche Grausamkeit. Schmied weichen Sie zurück, ich stoße mit den Füßen, lassen Sie mich los, seien Sie barmherzig, wenn Sie das Einsehen verloren haben, daß ich nicht fechten und stechen kann. Wenn Sie mich mitnehmen, so werden wir sicher besiegt. Ich gehe zum Feind über und werde meinen Spieß gegen Sie, erbärmlicher Graf, richten. Sie werden’s am Stammtisch bereuen.

    Schmied löscht die Rüstung im Wasser ab, daß es zischt und dampft. Launer verstummt.

    Launer (nach einer Weile) Ist niemand hier, der diese Dämpfe beschwört?

    Graf Vorwärts Schmied, mit dem Edeln … wir müssen noch in der Dunkelheit ausfallen.

    Launer Haben wir wenigstens Laternen bei uns, um den Feind zu beleuchten? Ich sehe das ganze traurige Ende Ihrer nächtlichen Raserei voraus.

    Schmied kommt mit kaltem Panzer auf Launer zu.

    Launer (etwas beruhigt) Das war ein vernünftiger Einfall, die Glut vorher abzulöschen. – – Ist er auch gewiß nicht mehr heiß? Herr Schmied, eine jede Brandwunde ist eine moralische Ohrfeige für Sie.

    Die Rüstung wird umgelegt, Launer eingekleidet. – – Die Gräfin tritt mit einer Dienerin und Eßnäpfen ein, um den Kriegern die Morgensuppe zu kredenzen. Dieses vollzieht sich unauffällig. Beim Eintreten der Gräfin wird achtungsvoll Platz gemacht.

    Launer (in dem Augenblick) Läge Ich doch in der Schulmeisterin Bett!

    Frau Niese (hört unwillkürlich auf am Blasebalg zu ziehen, es wird ganz leise. – – Die Gräfin stutzt. Schnell fängt Frau Niese heftig zu blasen an, Ricke springt an den Ambos und macht mit dem Hammer Lärm).

    Graf Warum dieser Einhalt! … Der Soldat Launer weiß uns zu berücken.

    Launer Ich bin Agent, den gemeinen Ausdruck „Soldat“ weise ich auf’s Entschiedenste zurück.

    Gräfin Ist dir nichts aufgefallen? Lieber Gemahl … wer liegt denn in der Schulmeisterin Bett?

    Graf Guten Morgen Sophie, sei aber zugleich so gut und verzögere die kostbaren Minuten nicht … wir sind gänzlich vollzählig … ich versichere dir, kein Mann fehlt uns … hast du denn schon ausgeschlafen? hast du auch schon gefrühstückt? … friert dich’s denn nicht, liebes Kind? so zeitig aus dem Bett?

    Frau Niese (ruft) Nach meinem Gefühl Herr Graf ist’s schon halberdrei. (Die Gräfin verteilt das Frühstück.)

    Launer Sie werden’s abwarten können, Frau Niese, bis ich den Anger ziere. Es kommt mir gerade so vor, als fühlten Sie sich in unsern Mauern beengt, weil man von außen dagegen drückt.

    Frau Niese Ich finde es ungerecht, daß Sie mitmüssen Herr Launer.

    Launer (jetzt unter dem Helm) Ich finde es nicht mehr … ich glaube, daß der Feind vor mir Angst haben wird … es kommt mir jetzt erst, daß ich eigentlich schrecklicher aussehen muß als meine Kampfgenossen … Ich fühle es, daß man ohne Ansehen der Person gegen uns vorgehen wird, gerecht sein wird und nicht allein auf mich einhauen wird. Gebt mir ein Schwert, wir brauchen keinen Siegfried mehr. (Wieder Bestürzung. Ruhe. Künstlicher Lärm.)

    Gräfin Ihr reitet ohne Siegfried?

    Graf Wir haben ihn nicht gefunden … sind alle da? Waibel geben Sie Befehl zum Aufbruch!

    Gräfin Warum eilst du so? Du sagtest noch gestern, ohne Siegfried habe ein Ausfall keinen Sinn … ich staune über dich.

    Frau Niese Staunen Sie nicht zu sehr, Gnädige Frau, Sie haben’s ja gehört, uns ist ein Held erwachsen.

    Launer Aber doch möchte ich den Herrn Grafen noch einmal fragen, ob ein Ausfall so einen Zweck hat?

    Graf Du verbreitest Mutlosigkeit unter meinen Tapfern mit deiner Suppe.

    Gräfin Ich bestehe darauf, daß Siegfried mit euch zieht.

    Graf Ekelhafter Weibereigensinn … wir bringen noch Stunden hier zu, finden ihn nicht und der Tag ist für uns so gut wie verloren.

    Frau Niese Das sag ich auch. (Leise.) Mach dich heran Ricke!

    Ricke Ich wollt’s ja gern haben, daß er noch lebte!

    Gräfin Komm gutes Rickel, sie müssen ihn suchen.

    Graf Du mißverstehst das Mädchen, es hat die Hoffnung selbst aufgegeben … wenn das die Braut tut, so besagt das alles.

    Gräfin Waibel, gehen Sie hinüber zur Schulmeisterin und sehen nach, wen sie bei sich hat. (Frau Niese pustet.)

    Graf Du beleidigst die Lehrerin.

    Frau Niese S’ ist ein ehrbares Mädchen.

    Ricke Ich kenne Siegfried genau, von so einer Alten will er nichts.

    Graf Deine Vermutung ist lächerlich, es zeigt, daß du nicht die kleinste Ahnung von einer starken männlichen Anlage hast.

    Gräfin An dir konnte ich sie offenbar nicht kennen lernen. Der Waibel geht dennoch.

    Waibel Wenn mich aber das Fräulein kratzt.

    Gräfin ’s ist aber unerhört, mit solchen Leuten willst du unsere Stadt verteidigen.

    Graf Man kann ja dich mitnehmen.

    Gräfin Da käme mehr heraus … was Frau Niese!

    Frau Niese Ganz ableugnen will ich’s nicht, gnädige Frau.

    Graf Ich häng’s an den Nagel.

    Gräfin Deswegen nimmst du ja Siegfried nicht mit.

    Graf Nun ist’s genug … also marsch Waibel, gehen Sie! wenn sich die Schulmeisterin nachher über Eingriffe in ihre Jungfräulichkeit beschwert, dann … schicke ich sie zu dir.

    Waibel (zu einem) Geh mit! (Ab … mit Begleitung … auch Ricke … Gelächter.)

    Launer Herr Graf, eine Frage, wenn man jetzt den Vermißten fände, wäre das nicht eine Gelegenheit, mich im Frieden zu hinterlassen?

    Graf Nein.

    Launer ’s ist aber doch eine Bosheit, Sie haben einfach die niederträchtige Absicht, mich töten zu lassen.

    Graf Schweigen Sie, Ihre Unverschämtheiten haben eine Grenze.

    Launer Keineswegs haben die eine Grenze. Sie sind eigentlich wortbrüchig und meineidig gegen mich, Sie haben’s im „Sechsundsechzig“ an mich verspielt, daß ich zu Haus bleiben dürfe. Daran erinnere ich zum letztenmal Euere Gnaade.

    Graf Ich kann auch wichsig werden.

    Launer Was heißt denn das, das verstehe ich nicht.

    Graf Ich kann auch Tyrann sein.

    Gräfin Warte jetzt ruhig ab.

    Graf Läppischer Eingriff in meine Kommandogewalt. Wie sehr ich alles aufbiete, siehst du eigentlich schon daran, daß ich sogar Herrn Launer mitnehme. Läppisch!

    Frau Niese ’n bißchen was Verletzendes liegt für den Herrn Grafen in der Sache … es soll mir ja ganz angenehm sein, wenn ich’s zu hören kriege, daß mein Tochtermann nicht in den Bach gefallen ist.
    Schmied In der Sulm ist noch keiner ertrunken.

    Frau Niese Keinmal ist nicht niemal, Meister Weisheit.

    Rufe: „Sie bringen ihn“; (die Aufmerksamkeit ist gegen die Gasse gerichtet … es rollt ein Schubkarren zwischen den Beinen der Gaffenden durch, worauf Siegfried kauert … Schwester Gretchen frierend im grenzletzten Anzug und Ricke dicht an Siegfried … Lebhaftigkeit).

    Waibel (grinst) Wir müssen ihn erwecken wie Jairi Töchterlein.

    Graf Ja was! … ja was! … wo führen Sie ihn hin?

    Waibel Ich dacht, ich lösche ihn ab.

    Frau Niese Das ist doch kein dampfendes Eisen, du einfältig’s Luchsmaul.

    Schwester Gretchen Was soll denn sein? … warum nimmt man mir so früh meinen Gesellen?

    Ricke Was ist ’r … Ihr Geselle? … Mutter, schau her, ’r ist noch ganz gleich gebunden … Mutter, noch ganz gleich … ist ’r Ihr Geselle? … sagen Sie’s noch ’n mal?.

    Graf Ruhe hier! … was soll das heißen?

    Frau Niese Das begreife ich auch nicht.

    Gräfin Ich meine, ihr könntet aufbrechen mit ihm.

    Waibel Gnädige Frau, das geht nicht … er ist total bei den Toten.

    Graf Haben Sie ihn so gefunden? das ist ja wie eine Schwalbe im Winter.

    Waibel Ich tret an’s Bett und da liegt ’r drinn, ach so friedlich!

    Ricke (rasch) Wie lag ’r? … sag’s rasch Waibel, wie lag ’r? – lag ’r uff ’m Gesicht?

    Waibel Ich glaube, das lag ’r.

    Graf Das ist ja alles zwecklos, solche Erörterungen … wir können mit dem Kerl so nichts anfangen.

    Ricke (schüchtern) ’s ist nicht ganz zwecklos … ’s ist für mich zu wissen!

    Gräfin Du machst ja nicht den mindesten Versuch, ihn zu sich zu bringen.

    Graf Ein paar Mann her, die ihn aufrichten … du wirst sehen, wie er zusammenstürzt.

    Siegfried wird aufgerichtet, er steht wie ein Schaustück eines Museums.

    Gräfin Wo fällt er?

    Graf (schlägt ihm eins mit der Faust auf den Kopf) Du hörnerner Siegfried.

    Frau Niese Der Mensch hat eine Natur.

    Launer Ich habe mich bis dahin passiv verhalten, aber ich werde niemals in Reihen mitziehen, die durch einen Trunkenen gefährdet sind, umgeworfen zu werden.

    Graf Um das handelt es sich sonnenklarerweise nicht.

    Gräfin Er wird euch vorausstürzen wie ein Trunkener und ihr werdet durch ihn siegen.

    Launer Er wird wie ein Hammel die Schafherde hinter sich in den Tod reißen.

    Gräfin Dann seid ihr wenigstens weg!

    Graf Ich will, um meiner Pflicht zu genügen, versuchen lassen, ob er aufzuwecken geht … Waibel einen Eimer Wasser.

    Waibel Zu Befehl.

    Ricke Das mach ich … der kann’s nicht. (Ab mit Waibel.)

    Schwester Gretchen Hab ich gar nichts mitzureden? … ich bin seine Verlobte.

    Graf Davon reden wir nach der Schlacht … Sie sind entweder ein Jungbrunnen oder eine Hexe.

    Schwester Gretchen Das erstere.

    Frau Niese Vom Hexenglauben habe ich seither nichts gehalten, aber jetzt glaube ich.

    Launer Ich habe es Ihnen immer gesagt, Fräulein, Sie sollen ehrbar bleiben.

    Schwester Gretchen Das bin ich.

    Graf Man wird Sie auf den ersten Grad foltern, vielleicht auch den zweiten, dann werden Sie bekennen … überhaupt, schämen Sie sich nicht! (Mustert sie.)

    Schwester Gretchen Ich bin ein Mädchen wie alle andern.

    Ricke (ankommend mit dem Eimer) Das wollen wir eben sehen … Visier hoch! ein bißchen zur Seite, Frau Gräfin.

    Ricke schüttet den Eimer Wasser über Siegfried … einen klatschenden Rest über Gretchen, die in verzückter Gier Siegfried in’s Gesicht gestiert hat. Lauter Hallo.

    Siegfried (erweckt) Meister, ich heb den Hammer nicht.

    Schmied A guta Morga, wie geht’s?

    Ricke (schreit ihn an) Mit dir ist nichts anzufangen! um’s Soldatsein hast dich herumgedrückt.

    Siegfried Laß mich! … das sollen andere machen.

    Graf Du erkennst doch Sophie, es ist ihm nicht darum zu tun.

    Gräfin Mach ihn du nicht feig!

    Launer Mir ist’s auch nicht darum zu tun, wahrhaftig.

    Graf Siegfried, Kaiser Konrad ist da.

    Siegfried Freut mich … freut mich.

    Graf Er bleibt also hier … wenn ihn das nicht sticht wie ein Sporn, sondern freut, ist er felddienstuntauglich. Kerl, der einer Schulmeisterin in’s Bett liegt! Guten Morgen, liebes Frauchen. Wir brechen auf. Du verstehst das nicht.

    Die Ritter setzen sich in Bewegung. Die Schmiede leert sich bis auf die einzelnen.

    Launer (springt, plump) Mir nach! Mir nach! … nur mir nach!

    Gräfin Da hört sich alles auf.

    Frau Niese Den Besten lassen se zurück.

    Gräfin Mein Mann geht zum Schein gegen den Feind. Ich weiß es schon jetzt, sie kommen wie von einem Spaziergang zurück … es wird ihn zu spät reuen, sich nicht ordentlich verteidigt zu haben. Lieber sind unsere Mannsleute feig und lassen sich vom Sieger die Augen ausstechen oder köpfen. … Es ist doch weit ruhmvoller, alles zu wagen, um wenigstens die Stadt zu retten.

    Frau Niese Es ist ihm so vorgekommen, als möchten Sie ihn gerne los sein, gnädige Frau.

    Gräfin Lieber keinen als so einen!

    Ricke (Baßstimme zu Siegfried) … als so einen!

    Siegfried Meister, ’s hängt mir so schwer am Leib.

    Schmied (führt ihn an der Hand) Komm einmal mit mir, ich will dir was erzählen. (Ab mit Siegfried durch ein schmales Türchen.)

    Schwester Gretchen Wo soll ich mich gleich trocknen? Du bist eine giftige Otter, du bist noch beinahe ein Schulkind und hast schon so viel Honig in deine Ohren gesammelt. Du Göre.

    Ricke Fünfzig hab ich nicht werden müssen, bis ich ’n Gespött wurde.

    Schwester Gretchen Wir werden sehen, wer Braut ist und wer’s Gespött. Ich gehe zum Herrn Pfarrer.

    Ricke Wa … wa …

    Frau Niese Gehet Sie no, gehet Sie no … unser Herr Pfarrer koppelt auch nicht ’n Kameel und ’n Nashorn zusammen.

    Schwester Gretchen zieht fröstelnd, kläglich ab.

    Frau Niese Laß sie laufen, Ricke … ich hab mit ’m Herr Pfarrer schon alles fertig.

    Ricke Das will ich aber auch nicht … verstehst du! … du wirst’s noch hören, wie sie ihn auslachen. (Setzt sieh schmollend an’s Schmiedefeuer.)

    Gräfin (Stirnrunzeln … verbissenes Gesicht) Sie ist doch eine gräßliche Person. – Wie kann sie von dem jungen Menschen etwas erwarten!

    Frau Niese Das weiß ich auch nicht, gnädige Frau.

    Gräfin Und was sagen Sie denn zu Siegfried? ich glaubte, er sei Ihr zukünftiger Schwiegersohn.

    Frau Niese Was soll ich sagen? … ’n Jugendstreich ist’s von ihm.

    Gräfin Er muß sich eigentlich schämen, bedenken Sie doch so eine alte graue Katze.

    Frau Niese Ha … ja … ’r ist dumm g’west.

    Gräfin Sie müßten darüber eigentlich so verletzt sein, daß Sie seine Trennung von der guten Ricke verlangen.

    Frau Niese Ich weiß nicht, was ich da sagen soll … meiner Ricke wackeln halt immer die Beine, wenn se an ihn denkt.

    Gräfin Ist denn das so, Ricke?

    Ricke Na, ich will nix mehr wissen … wie steht m’r denn jetzt da?!

    Gräfin (tröstet sie) Du armes Kind, mußt so viel Leid erfahren.

    Ricke Sie hab’n ’n ja holen gelaßt.

    Frau Niese O du! … das war doch ganz zu deinem Vorteil, du Stockfisch.

    Gräfin Nein nein, Frau Niese, ich habe es längst gemerkt, daß Sie was zusammen gegaggert haben.

    Frau Niese Wir gaggern nichts.

    Gräfin Ich will mich in nichts mischen, aber wenn der Tag für die Unsern schlecht ausgeht, Frau Niese, ich kann ein strenger Richter werden.

    Ricke Ich hab dir’s gleich gesagt, du habest einen gewalttätigen Kopf gegen mich.

    Frau Niese Bin ich nicht stets zum Schicklichsten gegen dich? … wo hat’s ein Bräutchen wie du?

    Gräfin Du hast ganz recht Ricke, sei du nur offen. Wie ist’s denn so gegangen?

    Ricke Die Mutter weiß es, ich weiß es nicht.

    Frau Niese Aber gnädige Frau, Sie werden doch keine Untersuchung einleiten, das ist nicht fein … das schickt sich nicht für Sie, Sie sind doch eine feine Dame.

    Gräfin Nein nein Frau Niese, für Ricke tut’s mir leid. Wenn sie nur wenigstens altersgleich wären.

    Ricke Da hätt ich der schon lange die Augen ausgekratzt.

    Frau Niese Und nun, weil’s eine alte Schraube ist, denkt meine Ricke, d’r Siegfried ist ’n Schaf und damit ist der Fall erledigt.

    Gräfin Nein nein Frau Niese, Siegfried ist sonst ein ganz tüchtiger Schmiedsgeselle.

    Ricke Ja, das ist ’r wohl mitunter.

    Frau Niese Dann war er eben einmal nicht ganz so tüchtig … ’s hat ein jeder Mensch seine Schwächen.

    Gräfin Aber gerade für diese Sybille! ist merkwürdig.

    Frau Niese Dann ist’s eben ein Wunder und damit ist der Fall nun aber gewiß erledigt.

    Siegfried kommt in der Lederschürze mit bloßen Armen, geschoben vom Meister, der ihm zuredet.

    Gräfin (mitleidig) Ach Gott! wie er geschoben werden muß … es tut einem ganz weh um ihn. (Geht zu ihm hin, als er sich auf die andere Seite vom Schmiedefeuer setzt.) Du guter Siegfried, wer hat dir denn das angetan?

    Siegfried (schluchzt) Ich kann mich nimmer sehen lassen.

    Gräfin Warten Sie nur Frau Niese, wenn das mein Mann erfährt.

    Frau Niese Er muß es eben nicht erfahren.

    Gräfin Sie haben’s gleich mit der Hinterlist zu tun. Siegfried, sei still, bist ein anderes Mal wachsamer über dich.

    Siegfried (wütend) Die sollen was erfahren!

    Der Meister legt eine eiserne Welle über den Ambos, holt den Meißel, Siegfried nimmt einen schweren Hammer und schlägt mit Wucht auf des Meisters Meißel mit Schwung über die Schultern.

    Siegfried (bei jedem Schlag) Lugenweiber! … Sauweiber! … Teufelsweiber! … (Das Eisen springt entzwei … der Meister steckt das abgehauene Stück in’s Feuer.)

    Ricke Mein nicht, deine Kraft könnte mich aussöhnen. Mich zerschlägst nicht.

    Siegfried An dir mach ich auch keinen Versuch mehr.

    Ricke Ich ließ auch keinen machen.

    Siegfried Das hast du leicht heimgeben.

    Gräfin So ist’s wacker Siegfried, beschäftigen sie ihn recht kräftig Meister Hammerschmied.

    Schmied ’s gibt was zum „Hauen“, gnädige Frau Gräfin

    Frau Niese Hampelt euch ihr zwei beiden. (Ab mit Gräfin.)

    Ricke – – – O die Muatter! wenn ich nur einmal nicht so werd’! … nur einmal nicht so!

    Siegfried Du bist jetzt schon dieselbe.

    Ricke (springt aus ihrer Stellung … sieht ihn neckend an) Was bin ich?

    Siegfried (sieht sie nach langem Zögern an) – – Guck mich nicht an, dann weiß ich’s.

    Ricke Gefall ich dir?

    Siegfried (will nach ihr greifen … plump danebengreifend, weil Ricke auswitscht) – So bist du eine.

    Ricke Ja so bin ich, (macht eine Nase) dir witsch ich aus. Du hast ja jetzt eine jüngere wie mich, geh zu der.

    Siegfried Papp (hockt sich neben den Meister).

    Ricke Stimmt das etwa nicht?

    Siegfried Ich hör’s nicht.

    Ricke Du wirst’s doch wissen, wo man dich vorgeholt hat … das willst du natürlich nicht hören, ’s ist eben eine Schande.

    Schmied (zu Siegfried) Sag nichts, dann wird sie falsch.

    Siegfried Ich sag nichts.

    Ricke Da brauchst du deinen Meister dazu? … die drei Worte bringst nicht einmal allein zu weg?

    Schmied (lacht) Dazu ist ’r mein Geselle und lernt bei mir.

    Ricke Auf den Gesellen kannst dir was einbilden. Ich müßt mich mit ihm verstecken.

    Schmied ’s Verstecken mit ihm steckt dir doch im Kopfe.

    Ricke Nicht geschenkt nehm ich ihn.

    Schmied Er hat dir noch nie was gekostet.

    Ricke Schwätz ich mit dir? … hat er kein Maul?

    Siegfried Ich hab meine Braut.

    Schmied (lachend) So mein ich auch, Siegfried, mach Ernst d’rmit.

    Siegfried So was Arges ist das noch lange nicht.

    Ricke Mensch, wo hast du deine Ehre?

    Siegfried Berg und Tal kommen nicht zusammen, aber die Menschen. (Spricht mit dem Rücken gegen Ricke.)

    Ricke Also so einer bist du. Wir machen Spaß und du machst Ernst.

    Schmied Das geschieht euch recht, für den Spaß gehörte euch ’n Heuschober voll Prügel.

    Siegfried Laßt se nur, ich bin glücklich.

    Schwester Gretchen (im Schwesternanzug) – – –

    Ricke (sieht sie) Da schwätz eine andere. (Zieht sich auf ihren früheren Platz am Feuer zurück.)

    Siegfried Hat dir die Schulmeisterin schon was getan? (Er sieht, wenn er ausgeschwätzt hat, Gretchen – – wendet sich weg, spuckt unwillkürlich aus.)

    Schwester Gretchen Wenn’s nur unsere Herzen verantworten, was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. (Auf Siegfried zustrebend mit gespreitetem Überwurf.)

    Siegfried (setzt sich auf die Seite von Ricke) Gehen Sie weg!

    Schwester Gretchen Dein Mund ist voll Lobes für mich. Warum so streng plötzlich wieder?

    (Siegfried hockt sich näher bei Ricke.)

    Schmied In dem Anzug sind Sie ihm zu heilig.

    Schwester Gretchen Ich will Barmherzigkeit üben, wenn die ersten Toten kommen, ich will Wunden verbinden. Ich hoffe bloß, ’s wird unserm Herrn Grafen nicht schlimm ergangen sein. Der Herr war in den letzten Augenblicken so selten erregt und heftig.

    Schmied ’s pfingstelt Ihnen wohl ’n bißchen auf seine Rückkehr?

    Schwester Gretchen Denen, die Barmherzigkeit üben, darf man kein Leids zufügen. Ich muß mich darum äußerlich kennzeichnen, nimm mir’s nicht übel, lieber Siegfried. Es ist eigen, das nimmt er mir jetzt übel, aber ich muß meinem Drang zur Barmherzigkeit nachgeben. Die Barmherzigkeit ist eben auch eine von den christlichen Tugenden, die ich alle bis auf die letzte gar nicht anders kann als üben. Ich will jetzt noch gehen und Fürbitte tun für die Gefallenen. (Geht mit frommem Tritt.)

    Schmied Dagegen ist unsereiner doch ein Teufel.

    Siegfried und Ricke sehen sich an. Stille bis auf das Rauschen des Feuers.

    Ricke (bricht das Schweigen) ’s hätte dir recht geschehen, wenn sie dich geküßt hätte.

    Siegfried Ricke, Ricke, (faßt ihre Hand) ’s ist eine Hexe.

    Ricke Du mußt einen auch allfort ärgern.

    Siegfried Ricke, du hast mich ja hinauf gezeißelt.

    Ricke Dein Fehler ist halt, daß bei dir immer alles dumm geht. (Schmied geht die Nase mit der Hand putzend ab.)

    Siegfried Bist du mir wieder gut?

    Ricke So schnell geht das nicht … ich bin nicht die erste beste.

    Siegfried Gelt, bist wieder gut?!

    Ricke Laß los, die Heinle sieht’s. (Setzt sich kampfbereit.)

    Die Heinle, ihre Neiderin, in einer Kette von Mädchen, in das Tor der Schmiede einschwenkend.

    Die Heinle Tu nicht so, ich hab’s schon gesehen, daß du wieder nach ihm langst.

    Ricke Was hast du gesehen? … was hab ich getan?

    Die Heinle (unter Gelächter der Kette) Wir geben den Unsern auch die Hände, was vergeiferst du dich so?

    Ricke Wenn ich’s getan hätte, ging dich’s noch lange nichts an.

    Die Heinle Höret nur auch! hat ihr jemand ’nen Vorwurf gemacht? … sie hat eine übernächtige Laune, sie ist unten gestanden und hat gehorcht, wie m’r ihrem Schatz den Panzer auszieht. Äh dich! du kannst keinen allein versorgen.

    Ricke (sehr heftig) Schweigst du jetzt! … ich bin nicht unten gestanden.

    Die Kette Wir haben’s ja gesehen … ha ha.

    Ricke Hat ihm jemand den Panzer ausgezogen?

    Die Heinle Gesagt haben se’s.

    Ricke Wer?

    Die Heinle Wer? … die’s gesagt haben.

    Ricke Da merkst du, was für ein verlogenes Maul du bist.

    Die Heinle Warum ist der Deine denn nicht dabei? weil ’r in der Schmiede mit bloßen Armen steht.

    Ricke Du hast ja bloß den Neid, daß deiner draußen den Grabschein holen muß.

    Die Heinle (schwenkt mit den Freundinnen … ab) Komm nicht gleich so! … d’r Deine ist ein feiger Tropf.

    Ricke (faucht hinter ihr her) Luder, du – – – (erregt schnaufend) Siegfried, zwischen uns ist’s aus … die Schande mit dir ist für mich zu groß.

    Siegfried Das hättest du dir gestern abend überlegen sollen.

    Ricke Meinst denn du, mir tu’s leid!? … mit einem Feigling hab ich nichts zu schaffen.

    Siegfried richtet sich hoch auf, geht zum Rüstzeug … Ricke beobachtet ihn ängstlich … Siegfried nimmt ein Schwert.

    Ricke (ihm entgegentretend) Wo willst du hin?

    Siegfried (schiebt sie weg) Wo’s mir paßt.

    Ricke (bleibt anhängig) Siegfried, hast du die Muatter schon gefragt?

    Siegfried Der Muatter den Gruß, ich sei Meister ’worden und geh mir ane Schmiede suchen.

    Ricke Du willst ja was anderes machen!

    Siegfried (leidenschaftlich, wild) Spürst du’s Ricke, daß ich will – – den Feind aufsuchen, ’n Held werden und – – sterben.

    Ricke So hab ich’s ja gar nicht gemeint, bleib da. Wenn du denkst, du müssest meinetwegen fort, weil ich das in der Wallung gesagt habe, da kannst du gleich dableiben, ich kenne dich schon lang.

    Siegfried Wenn du mich in Andenken behältst, dank ich und blutet sich’s leichter.

    Ricke Du weißt gar nicht, wie viel du mir bist … du tätest dein Leben nicht wegwerfen wollen. Wenn du auf mich hören wolltest, schön wollt ich dir’s machen dann.

    Siegfried Ich weiß, was ich tun muß, damit ich nicht dein Hansnarr werde. Halt mich nicht fest, ich muß gehen, es treibt mich hinaus.

    Ricke Hast du’s vergessen, wie ich dich küsse?

    Siegfried Ich will d’ran denken, wenn ich das Schwert hebe.

    Ricke Hast du’s vergessen, wie wir die Augen zumachen, wenn sie sich wie mit Nadeln stechen? wenn sie zu nah sind.

    Siegfried Ich will d’ran denken, wenn ich den ersten niederhaue.

    Ricke Man kann auch dich niederhauen, daran denkst du nicht …

    Siegfried Dann mach ich meine Augen zu, wie du, wenn du schläfst.

    Ricke (weint) Nein Siegfried, du darfst nicht gehen … ich laß dich nicht.

    Siegfried Du weißt, wie’s geht, wenn du mich hinderst.

    Ricke Gut geht’s … warum hab ich dich denn noch? Zu was jetzt eineweg fortlaufen?

    Siegfried Also b’hüt Gott, Ricke. (Küßt sie.)

    Ricke (mit fester Bewegung losgemacht … bricht zusammen und schluchzt. Siegfried geht fort).

    Frau Niese (tritt ein) Und warum so erbärmlich?

    Ricke Er ist fort.

    Frau Niese Ich hab gemeint, du hackst ihn fest.

    Ricke Ja du! … weil du bist, ist er nun ganz allein. Da wär er besser mit den andern.

    Frau Niese Wenn’s Vaterlandssterben amol so eine Seuche ist.

    Ricke Und du die Pfiffigste sein willst und die Dümmste bist.

    Frau Niese Ricke, noch bist du meine Tochter! … und noch bin ich die Weisheit und du das Kalb.

    Ricke ’s Kalb kommt von der Kuh.

    Frau Niese Und die Kuh schiebt die Schuld auf den Ochsen. Gutenmorgen lieb’s Kind.

    Vorhang.

    Dritter Aufzug.

    Personen: Graf, Gräfin; Gretchen; Launer; Frau Niese, Ricke; Siegfried; Waibel; Schänder; Bürgermeister; die staufischen Herren; Volk; ganz Weinsberg.

    Szene: Der Marktplatz mit Rathaus. Hintergrund, die entfernt – hinter den Markt umschließenden Häusern – hochgelegene Kirche. Der Markt ist abschüssig.

    Zeit: Morgenkaffee.

    Außer dem über der Rathaustreppe postierten Hellebardier der Graf kühlungsbedürftig auf dem Markte schreitend, er ist in Hemdärmeln, einen großen wollenen Schal mit Fransen um die Büste gewickelt, Launer aus einer Gasse kommend, eingemummelt mit Schlinge um den verwundeten Arm.

    Launer Herr Graf, ist Ihnen meine Rede genehm?

    Graf Wir sind nun schon annähernd eine Stunde von unserem strapaziösen Nachtritt zurück und meine Gemahlin hat sich noch nicht blicken lassen. Ein höchst auffallendes Symptom. Das Volk hat sich sogar schon inzwischen verlaufen.

    Launer Das würde mich vor einem gemeinsamen Befeuchten der frischen Lorbeeren nicht abhalten. Wir haben geleistet und das genügt.

    Graf Nein. Wir haben eben nicht geleistet.

    Launer Ist meine Wunde nicht der eklatanteste Beweis? Euer Gnaden?

    Graf Einem Weibe, das glaubt den Sieg wie einen überhängenden Apfel brechen zu können, beweist das eben nichts.

    Launer Ich bin hingegen mit dem Ausgange der Exkursion dermaßen zufrieden, daß ich mich geradezu beglückwünschen kann von Euer Gnaden mitgenommen worden zu sein. Ohne Knirschen müssen mich alle meine Mitbürger als ihren erkorenen Helden anerkennen, denn ich bin, wie es sich immer gewisser signiert, der allereinzigste Verwundete.

    Graf Da haben wir’s! Das ist’s! Wenn ich nicht schwindle, mindestens fünfundzwanzig Tote draußen gelassen zu haben, so schimpft diese Frau. Aber wir können uns weiß Gott nicht selbst entleiben, wenn es der Feind unterläßt.

    Launer Herr Graf, ich empfehle Geduld, noch ist ja der Eindruck auf Ihre Frau Gemahlin nicht konstatiert. Warten Sie ruhig!

    Graf Eben deswegen sinne ich … jage ich heftig schwitzend hier auf und ab. Ich muß die Unzufriedenheit mit mir selbst, nein mit dem Ausgange der Sache, zum Ausdruck bringen. Aber wie?

    Launer Das ist schlechterdings nicht möglich. Wir können zum Elefanten nicht sagen, du bist eine Mücke. Der Elefant wird es als Unwahrheit zurückweisen.

    Graf Meine Frau wird mir sofort entgegenschreien, hättest du Siegfried mitgenommen! Mit verstärktem Nachdruck wird sie behaupten, ich habe ihn absichtlich zu Hause gelassen.

    Launer Ja ja, das will ich nicht in Abrede stellen.

    Graf Sie behauptete es, schon ehe wir auszogen.

    Launer Hüllen Sie sich in das Manteltuch der Entrüstung! des Zorns, der Wut, der Rache!

    Graf Gegen wen? Auf was?

    Launer Es ist juristisch unbeweisbar klar, daß die alte Schulmeisterin Gretchen einen Hochverrat begangen hat, indem sie den jungen Mann der Waffe entzog.

    Graf Wir rädern sie! – Ich dachte ständig daran, ich erwartete nur von irgend einer Seite eine Ermunterung.

    Launer Und zwar im Verlaufe der nächstschnellsten Minuten, ich lasse sofort dir Armsünderglocke anziehen. He! Helbardier! die Glocke des jüngsten Gerichtes wird von seiner Gnade begehrt. Wer holt gleich den Schänder?!

    Frau Niese in Hatz und Atem bei den ersten Glockenschlägen, bald hinter ihr die Raben (Volk).

    Frau Niese Womit kann ich dienen?

    Launer (mit bösen Affenaugen) Frau Niese, Sie? … wir richten die Gretchen.

    Frau Niese Ihr Hexenprozeß. (Rennt fort.) Weiß schon, den Schänder wünscht man.

    Graf Man wird an meinen Ernst glauben!!

    Waibel Herr Graf befehlen?

    Graf Dein Hirn! Waibel! Wem kann diese Glocke nur gelten?

    Waibel Der Gretchen. Ich soll sie verhaften und herbringen.

    Graf Ist sie noch nicht da? (Waibel ab.)

    Launer Wir brauchen in jetzigen Zeitläuften ein weit schlagfertigeres stehendes Heer, als es dieser Waibel repräsentiert.

    Graf Kerl ist von verdammt schwerem Begriff.

    Launer Eilt etwas, so eilt dies … denn Gnädige Frau die Gräfin wird sich für den Ton der Glocke auch bald interessieren.

    Bürgermeister aus dem Rathaus mit dem Gemeinderat (nicht mittelalterliche Tracht).

    Bürgermeister (feist lachend) Wir werden’s an nichts fehlen lassen.

    Graf Sie sind gewiß einverstanden Herr Bürgermeister.

    Bürgermeister So sehr, daß wir gar nicht darüber nachzudenken einstimmig beschlossen haben.

    Graf Ihr Erscheinen gereicht dem Verfahren zur Ehre.

    Bürgermeister Wenn wir durch Anwesenheit den Standpunkt des Gemeinwesens vertreten, so wird das für eine rasche Abwicklung zweckdienlich sein.

    Launer Meine Herren, wir sollen sie aufwickeln.

    Unter dem Geschrei der eskortierenden Menge naht Gretchen gefesselt, geführt von Waibel. Launer verbirgt sein Gesicht.

    Schwester Gretchen Ich habe soeben noch blutende Wunden gestillt!

    Frau Niese mit dem Schänder, der springt.

    Schänder (auf der Stelle tretend, sagt das r nicht, Fistelstimme) Was soll ich? Fräulein, kommen Sie ein bißchen mit!

    Schwester Gretchen Das ist zu rasch! Ich verlange mein Gericht! Ich habe nichts getan.

    Frau Niese Ein bißchen zu rasch ist das, langsamer ist immer das Schicklichere.

    Schänder Ich habe gerade nichts zu tun.

    Launer Eile! Eile gebietet die Staatsraison.

    Graf Ist der Kreis geschlossen? … die Glocke soll schweigen!

    Bürgermeister Aufhören! Aufhören! (Die Glocke verstummt.)

    Graf – – – Sie sind des Hochverrats angeklagt – – – Sie haben einen Mann mit berauschender Flüssigkeit derart beschwert, daß er nicht mehr fähig war, sein gepanzertes Ich in Elastizität zu erhalten. Er fiel und glich einem Toten.

    Schwester Gretchen Er ist mein Verlobter, er hat mich besucht, und da hat er getrunken, ich habe es Frau Niese gleich gesagt, es sei zu viel.

    Graf Wo ist Frau Niese? – – Frau Niese! Frau Niese! sie ist nicht hier.

    Launer Sie lügt, er ist nicht ihr Verlobter.

    Schwester Gretchen Jawohl, er ist’s … Lügen darf man vor Gericht überhaupt nicht sagen.

    Graf (barsch zu Launer) Sie dürfen keine beleidigenden Ausdrücke gebrauchen.

    Schwester Gretchen Ich danke Herr Graf. (Lächelt ihn an.)

    Graf Bitte. Sie werden sogleich gerädert werden, wenn Sie den Beweis nicht erbringen, daß Sie der Tat nicht schuldig sind.

    Schwester Gretchen Ich? … er ist mein Geselle.

    Launer Er ist des Schmieds Geselle.

    Schwester Gretchen Warum eifern denn Sie so sehr gegen mich? Herr Launer, ich habe Ihre Wunde verbunden.

    Launer Barmherzigkeit ist gerade so Pflicht, wie das Verrichten der lebensnotwendigsten Bedürfnisse.

    Schwester Gretchen Seien Sie nur auch menschlich.

    Launer Das bin ich. Sie könnten froh sein, daß Sie mich überhaupt liebevoll berühren durften, Sie haben einen ganz anderen vor sich als den, wer er war.

    Graf Wir irren vom Thema. Sie wissen also nichts zu Ihrer Entschuldigung vorzubringen.

    Schwester Gretchen Wenn er gekonnt hätte, wäre er gewiß gegangen.

    Graf Das ist die Schuld, daß er nicht konnte.

    Launer Diese Hexe sagt es selbst aus, daß er nicht konnte. Sie muß es wissen nach den Mitteln, mit denen sie gebraucht hat.

    Graf Mehr wollte ich gar nicht hören. Hat noch jemand eine Frage?

    Schwester Gretchen Ich will mich verteidigen … ich habe nicht gebraucht. Es war ganz natürlich.

    Graf Sie bestreiten also Ihre Einwirkung auf den Mann.

    Schwester Gretchen Nein (innig) … ich kann sie nicht bestreiten. Die kann ich nicht bestreiten. Er hat sich zu mir gezogen gefühlt.

    Graf Es waren keine Rauschpulver im Wein?

    Schwester Gretchen Nein, er war natürlich.

    Waibel Diese Pulver sind wohl in jedem Wein …

    Graf Waibel, du bist ein Waibel.

    Launer In jedem Wein, den dieses Fräulein schenkt, wenn sie die Zwecke bei den Männern verfolgt.

    Schwester Gretchen Ich habe nur den einen! erkämpft!

    Launer Sie haben mir schon mehrere Anträge gemacht, dessen habe ich Zeugen … da … das Volk jubelt mir zu. (Zustimmung beim Volk.)

    Schwester Gretchen Mein Verhältnis zu dem Manne ist ein reines.

    Launer Sie beschäftigen sich trotzdem seit mehreren Jahrzehnten mit dem Fang des Augenblicks. Nur haben sie nie bisher etwas gefischt. So will ich Sie selbst entschuldigen und begutachten.

    Schwester Gretchen Ich habe im Trüben gefischt.

    Graf Und nichts geangelt, da haben Sie bedauerlicherweise einmal gleich den größten Karpfen gezogen. (Gelächter der Menge.)

    Launer Ich bewundere die Größe, auf die sich Ihre Rede, Herr Graf, aufgeschwungen hat.

    Graf Schänder (packt schon zu) ergreifen Sie also die Dame, es kommt für sie noch das Argument ungewöhnlicher Schärfe auf das gegenüberliegende Geschlecht hinzu.

    Launer Sie ist die reinste Diana mit leergeschossenem Köcher.

    Schänder Das verschärft Ihnen einen ganzen Grad.

    Schwester Gretchen Ich bin eine Märtyrerin meiner starken Leidenschaft. Ist denn Frau Niese nicht da? die mich rettet.

    Graf Herr Agent, meine Frau wird mich grausam nennen. Ganz getrau ich mir nicht.

    Launer Sie leiden an schmerzhaften Hühneraugen eines zu stark drückenden Pantoffels. Appell an’s Volk! (Das Volk schreit „Henker!“)

    Launer Sie gehört der übelsten Klasse an, die man nicht duldet.

    Graf Ich schwanke.

    Schwester Gretchen Ich habe für Sie gebetet Herr Graf, daß Sie zurückkehren.

    Launer Wenn jetzt nicht der Himmel spricht, so helfen dieser Hexe ihre schönen Augen.

    Schwester Gretchen Die habe ich also doch! … Die Liebe ist den andern keine Sünde, warum mir?!

    Graf (scharf) Wenn Sie auch längst das Altersrecht haben, so sind Sie trotzdem bürgerlich ledig.

    Gemurmel in der Menge: Ricke, Frau Niese.

    Schwester Gretchen Gelobt sei Gott! … Frau Niese wird es klären.

    Graf Ricke daher! dich schickt Justitia.

    Ricke (schwarz, mit verweinten Augen) Laßt mich! laßt mich!

    Die Heinle Ricke, wenn ich dir mit was weh getan hab’, so verzeih’s!

    Ricke Laßt mich!

    Graf Du trauerst. Was ist geschehen?

    Ricke Siegfried ist draußen bei dem Feind.

    Graf (schlagartig) Siegfried!

    Ricke Ja, weil er sich geschämt hat, weil die Schulmeisterin ihn bei sich hatte, ist er gegangen.

    Graf Dennoch? … die ganze Zeremonie ist vergebens.

    Launer Warum kommen Sie auch daher, Sie?

    Frau Niese Dennoch! … was ist das! Darum will sie ihre Sühne.

    Graf Die kann mir gestohlen werden. Ich führe den Prozeß um meine Ehre.

    Launer Frau Niese, sind das Sie?

    Frau Niese Man hat doch geschwankt.

    Ricke Er ist ganz allein hinaus und ist gewiß gefallen.

    Graf Sagen Sie wenigstens, er lebe und führe Operationen eines Freibeuters aus, so will ich diese Person sofort überantworten, denn es geht nicht, daß ein einzelner den Faustkrieg führt, während ich um Unterhandlungen bei Seiner Majestät dem Kaiser nachsuche. Ist er also tot oder lebendig?

    Ricke Ich traure.

    Frau Niese Obgleich er lebt.

    Schwester Gretchen Frau Niese, wie öffnen Sie meine Augen!

    Launer Die Gerechtigkeit hat geredet, das Fräulein hat diese Zeugin selber herbeigefleht.

    Zustimmung: Bravo! Gottesurteil! Bei allen Akklamationen spielt der Bürgermeister die Rolle eines Musikdirigenten.

    Graf Schänder, führen Sie ab, ’s ist deutlich Hexerei.

    Schwester Gretchen Die natürliche Kraft der Liebe hat ihn auf meine Bettkante gesetzt. Er ist mein Verlobter! Ich sterbe gern für den süßen Gedanken.

    Ricke Schwören Sie’s ab! Sie fahren mit einer Lüge ab.

    Schwester Gretchen Nein, das tue ich nicht. Es ist an meinem heutigen fünfzigsten Geburtstag mein einziger Ruhm, mein letztes.

    Launer Sie schwört’s nicht ab, das arme Mädchen hat ewige Schande. Sagen Sie schnell Herr Graf, sie bleibe am Leben, wenn sie ihn abschwört. (Ricke windet sich schreiend vor Wut.)

    Graf Halt! Wenn Sie den Mann als Ihren Verlobten abschwören, so bleiben Sie de Punkto am Leben.

    Schwester Gretchen Was soll ich da tun?

    Frau Niese ’s Leben kann noch viel bringen, wenn’s jetzt erst begonnen hat, zu bringen.

    Schwester Gretchen Ich schwöre ihn ab.

    Ricke (tanzt in Erhebung in eine Gasse) Sie schwört ihn ab … es ist nie gewesen. Heinle, hörst du’s?

    Graf Noch einmal, ganz laut!

    Schwester Gretchen Ich schwöre ihn ab und verdamme ihn. Dann lassen Sie mich auch los, Schänder!

    Schänder Jetzt ist es bloß wieder den einen Grad schwächer. De Punkto ist lateinisch und heißt: „Um einen Punkt schwächer“.

    Die Glocke läutet zum letzten Gang.

    Schwester Gretchen Wie leer gehe ich aus! Jetzt bin ich auch darum betrogen … und das heute!

    Frau Niese Sie können nichts haben … hab ich schon immer gesagt.

    Schwester Gretchen Frau Niese, haben Sie nicht früher anders ausgesehen?

    Frau Niese Die Todesangst setzt Ihnen eine farbige Brille uff.

    Der Haufen wälzt sich langsam in die Gasse.

    Graf Ich glaube Herr Agent, meine Frau darf kommen.

    Launer (leise) Dort steht sie schon … recht sorglos entgegen!

    Der Magistrat geht wie gekommen wieder zurück aufs Rathaus.

    Graf (geht der Gräfin entgegen) Freu dich Schatz! es ist alles ganz glücklich abgelaufen.

    Gräfin Sind wir vom Feinde entsetzt?

    Graf Liebes Kind, das erfordert Tage, Wochen, Monate.

    Gräfin Wie stehst du überhaupt da! In Hemdärmeln und wollenem Tuch.

    Graf Wir schwitzten so, daß ich mich nicht erkälte.

    Gräfin – und diese Hexenkomödie machst du sofort rückgängig, du bist auf dem schönsten Pfade, ein ganz verabscheuungswürdiger Despot zu werden.

    Graf Beruhige dich! Ich entspreche dem Volkswillen.

    Gräfin Dann weißt du es nicht, daß Siegfried allein um unsere Freiheit kämpft.

    Graf Hör mal, in diesen Siegfried scheinst du nachgerade verliebt zu sein.

    Gräfin Er ist ein Held, ihr seid Feiglinge, du vor allen.

    Graf Er ist zum Freibeuter verhext und handelt gegen das Gesamtinteresse.

    Gräfin Er kann unsern Ruf vor dem Feinde höchstens wieder herstellen … ich sage dir, meines Leibes Sicherheit wird meine erste Sorge sein neben der um das Leben unserer Bürger.

    Graf Darum sollten wir unterhandeln.

    Gräfin Rufe wenigstens den Schänder zurück! Du beweist es mir also damit nicht, wie ernstlich dir Weinsbergs Schicksal am Herzen liegt.

    Graf Wenn du mir’s so glaubst! Dann widerrufe ich meinen Rechtsspruch. Waibel inhibieren Sie!

    Waibel Wenn er darauf eingeht der Schänder. (Ab … holt den Haufen ein.)

    Gräfin An den Pranger darfst du sie stellen.

    Graf So bist eben du der Richter hier.

    Gräfin Ich werde sehen, daß ich das Heft in die Hand nehme.

    Launer Da werden die nötigsten Vorkehrungen zu nichte gemacht. Sie verehrte gnädige Frau schlafen nicht im Zimmer neben der Gretchen.

    Gräfin Katz und Hund bekämpfen sich solange, bis sie Freundschaft schließen.

    Launer Zu was tut ein Bürger da noch seine Pflicht.

    Der Haufen mit der Gretchen wird wieder sichtbar … die Glocke hält enttäuscht inne.

    Graf Die Schulmeisterin soll nur an den Pranger!

    Schänder Das kann ein anderer machen, das ist für mich nicht genügend. (Ab.)

    Schwester Gretchen Wem danke ich meine Erlösung?

    Gräfin Sie könnten sich noch genug schämen.

    Schwester Gretchen Ich schäme mich nicht. Ich bin ein Mauerblümchen.

    Graf Waibel, besorgen Sie’s!

    Waibel Wollen Sie so freundlich sein. (Ab mit Gretchen.)

    Der Haufen bewegt sich nach einer andern Seite des Marktes, dort wird Gretchen sichtbarlich hinten in der Szene an den Pranger geschnürt. Das Interesse der Menge flaut ab.

    Frau Niese Die darf sich da was darauf einbilden, gnädige Frau.

    Gräfin Frau Niese, sind Sie ja still! Und ein klein wenig mitfühlender.

    Frau Niese Jenes fühlte ich, da wird mir’s ganz öd (zieht sich gähnend in eine Gasse zurück).

    Launer Das einstdem so herrliche Dasein freut selbst den Lorbeer nicht mehr, wenn er welkt.

    Graf Du gibst uns Allen Anlaß zur Resignation.

    Gräfin Ich bringe Ordnung in euch.

    Graf Wie kamen wir heute früh zurück! wie rauschte der Wind in unsern Panzern! wie ein Freudensturm! und jetzt!

    Gräfin Ihr habt einen Spazierritt gemacht und habt euch eingebildet, Figuren der Heldensage zu sein.

    Launer Ich ertrage Ihren Spott nicht mehr. Ich habe meine Wunde Antlitz des Feindes verdient. Ich renommiere nicht gerne, aber jetzt kann mir die Sprache meine Ehre zurückgeben.

    Gräfin Ich höre.

    Launer (erzählt) Ich ritt als der vorderste, hinter mir unsere wackere Schar. Ich reite auf meinem Rößlein immer munter vorwärts und wie ich so reite, taucht vor mir in nebliger Ferne ein geharnischtes Ungeheuer auf. Ich denke „reitest noch ’n bißchen zu, wenn es dich sehen wird, wird es schon anhalten und sein kühnes Nahen sein lassen“, aber mit Tollkühnheit avancierte es. Ich stand und erkannte einen kaltblütigen Ritter – „siehst dir die Sache ’n bißchen an“ dachte ich und avancierte – fühlen Sie mit? wir kamen uns nahe. Ich wagte zu rufen … da noch zu rufen! „Hie Welf“ rief ich … „Hie Ghibellin“ war die Antwort, ich war verwundet, blutete, drehte mein langsames Roß, und bemerkte, daß ich der letzte Mann einer scharf auf die Stadt zuhaltenden Schar war, die ich später als die unsrige erkannte. Natürlich schrie ich wie ein gestochenes Schwein und beschleunigte dadurch die Jagd in die schützenden Mauern der Stadt. – Bedenken Sie einen Riesenreiter, der „Hie Ghibellin“ schreit … was soll denn das heißen? Das konnte nur der böse Feind in Person sein. – Wir atmeten hinter den Torflügeln auf und sahen, daß kein Feind da war. – Wir hätten allesamt sterben können, davor behütete uns mein Duell mit dem Teufel, denn allein dadurch kann er zurückgeblieben sein. – Resumé! Die heutige Nacht war ein sternhelles Ereignis in unserer Geschichte, denn wir schlugen den Feind soweit in die Flucht, daß er trotz seines Vorstoßes aus seiner Stellung bei Höllofen nicht weiter als auf fünf Meßellen vorrücken konnte. Ich bin quitt. (Stolz.)

    Gräfin So … Sie sind quitt. Beinahe sitzen die Waiblinger auf Weinsbergs Mauern wie Lachtauben.

    Graf Bist du nicht gefolgt?

    Gräfin Totschlagen sollte man euch!

    Graf Nun ist’s gesagt. Daß wir noch leben, ist dein Ärger. Du spekulierst auf ein ungestörtes Renkontre mit dem Feind.

    Gräfin Ich möchte mit dem Kaiser tanzen.

    Graf Sag einmal, Sophie, worüber hast du dich plötzlich in mir zu beklagen?

    Gräfin Das fragt dieser Mensch!

    Graf Ich habe dir nichts getan!!! Ich tue dir den Gefallen nicht und lasse mich nutzlos totschlagen.

    Gräfin Das was du nicht haben möchtest wird dir blühen.

    Graf Ich möchte dein Schluchzen hören, wenn wir draußen geblieben wären!

    Gräfin Es müssen doch Widersprüche über die Auffassung meiner Person in dir herrschen.

    Graf Nein, aber wünschst du mir den Tod, so … so sind wir Feinde!

    Gräfin Lieber, ich kann dir nur sagen, was ich denke. Du wirst schon noch an meine Mahnung zur Tapferkeit denken.

    Launer Ich will Frieden stiften, einen tapferen Mann verletzt so was.

    Trompetenstöße von den Türmen der Stadt.

    Graf Das sind die Abgesandten des Kaisers … die Unterhändler. Melden Sie’s! (Laut.) Waibel! die Glocke! und meinen Rock!

    Gretchen bleibt verlassen stehen, alles drängt sich her.

    Gräfin Du hast sie schon bestellt!?

    Graf Gewiß liebes Mäuschen, um dich zu überraschen.

    Gräfin Sprich anders zu mir!

    Graf Ach! morgen gehe ich wieder auf die Hasenjagd!

    Gräfin Ich sehe etwas voraus, was du nicht ahnst.

    Graf Gruppiere sich alles in einen doppelten Kreis von Männern und Frauen. Es freut dich gewiß, (Waibel bringt den Rock, der Graf zieht ihn unter der Rede an) wenn ich euch Frauen mitreden lasse.

    Gräfin Du bist sehr höflich, wenn du klug sein mußt.

    Es bildet sich ein Kreis, doppelt, vorn Männer, dahinter die Frauen. In der Mitte Graf und Gräfin. Die Kinder werden von ein paar idiotischen Mitbürgern abgehalten mit Stecken, die der Bürgermeister an sie verteilt. Hinter Launer Platz frei.

    Graf Gegen die Herren Unterhändler erbitte ich ein freundliches, wohlwollendes Benehmen.

    Schwester Gretchen (von ferne) Herr Launer, ich stehe gerade hinter Ihnen.

    Launer Das ist ein böses Omen für mich.

    Waibel (drängt sich in den Kreis, Platz zu schaffen) Geben Sie etwas Luft, die Herren wollen hier durch.

    Ein blendender kleiner Trupp schwäbischer Herren, die sich kavaliermäßig verneigen, mitsamt ihrem dicken Schreiber.

    Schwester Gretchen (wimmernd) Ergebung! Nichts als Ergebung solchen Herren!

    Sprecher (mit adligem Baß) Vor allem habe ich Seiner Majestät speziellen Gruß an Ihre Hochachtbarkeit Frau Gräfin Sophie zu überbringen.

    Beifallskundgebung des Kreises. Das Vertrauen wächst.

    Sprecher Sodann habe ich den Auftrag, Stadt und Feste Weinsberg drei Übergabebedingungen verlesen zu lassen. Sie haben eine derselben anzunehmen, widrigenfalls an einen unblutigen Austrag überhaupt nicht zu denken ist. Ich lasse die Bedingungen verlesen, Sie geben ihre Zustimmung oder verwerfen dieselbe, so kommt die nächste so weiter bis zur letzten. Also! Erste!

    Die Weiber (schreien) Die dreie verlesen, dann wählen m’r de beste.

    Sprecher Wie? – – alle drei. Nein. Majestät will die Gesinnung seiner späteren Untertanen dadurch kennen lernen.

    Schwester Gretchen Nur rasch! Daß die vielen andern noch hereinkommen.

    Sprecher (zum Grafen) Hexe was?!

    Graf Hexe ja!

    Schreiber (tänzelt durch den Kreis auf Gretchen zu, macht Stimmung) Dottore di Bologna … warum prangen Sie hier?

    Schwester Gretchen Ich kann es gar nicht sagen, mein Geburtstag ist heute.

    Schreiber Sie schließen gewiß ein halbes Jahrhundert ab und schließen das andere halbe auf.

    Schwester Gretchen Sie sind ein Prophet … heute ist mein fünfzigster Jahrestag, den feiere ich am Pranger für eine einzige Nacht des Glücks.

    Schreiber Sie waren also 365 × 50 = 18250, also achtzehntausendzweihundertundfünfzig Nächte unglücklich, haben sie in Tugend verbracht und verkasteit!

    Schwester Gretchen Sagen Sie’s dem Kaiser, wie es hier ungerecht zugeht.

    Schreiber Nein spricht der Richter, wer’s die achtzehntausendzweihundertundfünfzig Mal fertig gebracht hat, hätte auch gut noch diese eine Nacht anständig bleiben können. (Beifall und Lachen.)

    Launer Das sind andere Herren der Wissenschaft, die sagen Ihnen Bescheid, auf meine Stimme hörten Sie ja nicht.

    Schreiber (Verbeugung gegen den Kreis) Sie sehen, wir sind keine schlimmen Feinde.

    Schwester Gretchen Der Herr mit der Armbinde ist der schlimmste Welfe! Er hat eine Wunde vom Kampf gegen Sie.

    Graf Waibel stopfen Sie ihr den Mund, bleiben Sie bei ihr stehen!

    Launer wird von den Staufen genau betrachtet.

    Schreiber Ist das der Held?

    Frau Niese Ich hab’s. Sie verwechseln ihn mit meinem Tochtermann, ahn ich … geht uff nichts ein, ihr habt es nicht nötig. Ein Löwe geht unter ihnen um.

    Gräfin Wir unterhandeln nicht … Frau Niese wittert richtig.

    Schreiber Regieren hier die Frauen?

    Graf Da hörst du’s wieder einmal. Nehmen Sie’s nicht übel, lassen Sie bitte verlesen.

    Gräfin Du hast die Stadt dem Grafen Welf zu halten!

    Die Weiber (rufen) Hurra! Es lebe die Gräfin!

    Sprecher Wir kehren um und berichten Majestät von den Frauen.

    Wieder Jubel der Frauen: „Bravo sie gehen“!

    Sprecher Wir waren zu spaßhaft. Sie sollen unsere Härte kennen lernen! (Sie tun wie gehen)

    Graf Bleiben Sie, es ist meine einsichtslose Frau.

    Sprecher Es geht in diesen Mauern toll zu.

    Frau Niese Das ist der Humor der Weingegend.

    Launer Den Sie ganz zur Unzeit anbringen.

    Schreiber (liest unter anfänglichem Lärm) – – – Stadt und Burg unverzüglich seine Tore, überläßt Weinsberg sein Schicksal der kaiserlichen Gnade. Ich. Imperator rex. Konrad III.

    Schwester Gretchen Nur immer auf! (Waibel hält ihr den Mund zu, wenn auch zu spät.)

    Bürgermeister Ist Ihre Gnade erbaut?

    Graf Gnade – – ist viel einzuschließen! Was denkst du, Sophie?

    Gräfin Ich denke nichts.

    Graf Ich mißtraue dieser Bedingung.

    Bürgermeister (laut) Sie haben diese Bedingung zu verwerfen!

    Die Versammlung drückt ihr Einverständnis gleichgültig aus.

    Schreiber Das war die beste.

    Gräfin Das kennzeichnet dich wieder … du mißtraust allem, auch einem kaiserlichen Wort, der Gnade des Kaisers!

    Graf Dann wollen wir sie doch annehmen.

    Schreiber Leider …

    Graf Äußere dich beizeiten! … zu was stehst du hier!

    Schreiber Die zweite. Es erfolgt Übergabe wie unter eins, jedoch die Männer verpflichten sich sämtliche zur Teilnahme am nächsten Kreuzzuge, den Seine Majestät unternehmen wird.

    Graf Ah … charmant. Wie gut war’s, daß wir die erste nicht annahmen.

    Die Männer Das laßt sich hören.

    Launer Nach Jerusalem und Jericho! Wir werden uns der Türkinnen bemächtigen und ihre Schleier lüften, um die Geheimnisse darunter zu erforschen.

    Herr Niese ’s gelobte Land sehen und das Kreuz nehmen!

    Frau Niese (hinter ihm vorfahrend) Hast du nicht Kreuz genug zu Hause? Also darum vernachlässigt man einen so, weil man vom gelobten Land und Muselweibern träumt. Wie willst du denn mit deinen blinzelnden Augen ein gelobtes Land überhaupt sehen? Wer tut denn das Land so loben! unsere Mannsleute.

    Zustimmung bei den Frauen.

    Launer Eine Beteiligung am Kreuzzuge kann den Kredit meiner Versicherung, für welche ich agiere, in glorioser Weise heben.

    Frau Niese Im heiligen Lande sterben die meisten.

    Launer Ich möchte so gerne als Heiliger hinübergehen.

    Graf Wir müssen den heiligen Zweck über alles Todesgrauen erheben.

    Gräfin Auf einmal will man sterben. Nein, du möchtest mir auch gar zu gerne nach Palästina gehen.

    Graf Ich gestehe dir’s … ja.

    Bürgermeister Soll ich zur Abstimmung drängen?

    Frau Niese Diese Bedingung nehmen unsere Männer nicht an.

    Graf Das fragen wir Sie! Ich meine, wir stimmen ab, Schatz.

    Gräfin Nein Schatz … du bleibst hier. Diese Bedingung ist verworfen.

    Streitender Lärm.

    Graf Du bist wahnsinnig, diese Bedingung war prachtvoll.

    Schreiber Die dritte, hmm, ob sie gefallen wird.

    Graf Es zerschlagen sich die Verhandlungen.

    Gräfin Das tut nichts … wir haben noch einen draußen, der uns beschützt.

    Graf Blase mir von dem nichts mehr in’s Ohr! Die dritte Bedingung wird einfach angenommen.

    Launer (wehmütig) Das liebliche Betlehem mit seinem Knäblein …

    Schreiber Die dritte! … Erstens Weinsbergs Frauen bleiben verschont, sie dürfen all’ ihre Kostbarkeiten an sich nehmen, so viel sie zu tragen vermögen. Zweitens (schmunzelt) die Männer fallen unter dem Schwert, so weit sie welfisch gesinnt sind. Ich. Kaiser Konrad.

    Schwester Gretchen Der Herr Agent ist ein Erzwelfe.

    Graf Diese Bedingung wird selbstverständlich verworfen. (Will zum Kreise hinausschreiten.)

    Gräfin Diese, die dritte, wird angenommen. Den Frauen das Leben, den feigen Männern aber den Tod!

    Graf Entsetzliche! was habe ich dir getan, daß du auf meinen Tod sinnst.

    Gräfin (kalt) Bürgermeister, geben Sie den Schlüssel zur Stadt.

    Bürgermeister Soll ich, Herr Graf?

    Graf Wir können ja nichts machen. (Halb weinend) Sie befiehlt’s ja.

    Bürgermeister (übergibt ihn) Hier, im Namen des Kaisers.

    Schreiber (packt den Schlüssel, mit kurzem knappem Salut eilen die Staufen davon.)

    Launer (resigniert) Diese zehn Kilo, die der Herr Bürgermeister treu mit sich herum trug, nehmen sie hinaus, um morgen von außen aufschließen zu können.

    Die Versammlung steht nicht wissend, was sagen. Die Gräfin begegnet lauter bösen scheuen unzufriedenen Blicken.

    Ricke (in stürmischer Freude) Siegfried kommt, Siegfried ist wieder da.

    Es wird lebendig im Kreise. Ricke stürzt wieder davon

    Gräfin Die Herren wußten, warum sie’s eilig hatten.

    Graf Man sollte dich in den Burgverließ stecken.

    Gräfin Ich stehe in des Kaisers Schutz.

    Frau Niese Da gibt’s aber ein bißchen viele Witwen zu morgen.

    Gräfin Wir heiraten Schwaben.

    Graf (schmerzschreiend ab) Ich taumle davon.

    Launer (an Gretchen Halt machend) Und Sie sagen also, ich sei ein Welfe. – – (Ab.)

    Schwester Gretchen Ja mit Verlaub.

    Ricke (von neuem) Er ist da. Mutter, jetzt kommt er.

    Gräfin Wir gehen ihm entgegen und erheben ihn auf unser Schild.

    Die Frauen kommen in Bewegung, sie laufen Siegfried entgegen und bringen ihn hochgehoben auf die Szene.

    Frau Niese (weint) Nutzt das dem braven Buben noch!

    Gräfin (entgegen winkend) Siegfried, ich adle dich!

    Siegfried Weiberr, laßt ab!

    Schwester Gretchen Ich vergehe.

    Vorhang.

    Vierter Aufzug.

    Personen: Graf; Schwester Gretchen; Launer; Frau Niese, Ricke; Siegfried; Waibel; Volk – –.

    Szene: Platz bei der Kirche mit Aussicht auf die Burg. Die Szene begrenzt die Kirche, die Stadtmauer mit dem Ausgang nach der Burg und die Häuser der nach der Kirche steil anlaufenden Gasse. Das Launersche Haus. (Plakat der Agentur und gepappte Fensterscheiben.)

    Zeit: Nachmittags.

    Ricke (im Selbstgespräch) Und warum hat sie ihn geadelt? … Vor der Gräfin muß man sich hüten … o die ist verschlagen! weil sie den ihren über hat.

    Siegfried (aus der Gasse) Ricke, willst du die paar Stunden noch geizig mit dir sein?

    Ricke Du bist ja ein solcher großer Held jetzt, da mußt du dir eine suchen, die dir nachläuft.

    Siegfried Hat ein Mädel keine Freude, wenn er nicht draußen blieb?

    Ricke – Ich hab sie gehabt, aber du läßt dich nicht blicken.

    Siegfried Ha no, Ricke, wenn mich alles bestürmt und ich einem jeden das nämliche vorquatschen muß.

    Ricke – Den Feind hast du dir brav vom Leibe gehalten!

    Siegfried Meine Landsleute sind aber keine Feinde.

    Ricke Daran sieht man’s. (Läuft davon.)

    Siegfried (zögernd hinter ihr) Was sieht man daran? … ist man denn bloß für deine Laune da? … wart doch, ich soll auch hinauf zur Gräfin.

    Ricke Da geh noch hin! … da geh hin! (Ab. Siegfried hinter ihr.)

    Launer mit dem Grafen.

    Launer Auch hier das Bild des geifernden Weibes!

    Graf Bei zwei Frauen, hätte man zwei Frauen!

    Launer Ich muß widersprechen. So kann man wenigstens immer ein Ohr frei halten.

    Graf Was gestattet sich das Weib gegen den Herrn der Schöpfung.

    Launer Sie finden allerendlichstens meine Theorie über die Kaltseeligkeit der Frau bestätigt.

    Graf Wie habe ich Sophie vergöttert! … wenn ich d’ran denke! ich möchte mich vom Kirchturm herabstürzen und mich in dem ausgebreiteten Sprungtuch meiner Schwachsinnigkeit auffangen.

    Launer Sie hätten dem Stammtisch treu bleiben und niemals heiraten sollen. Ich erlebe wenigstens in dieser Richtung keine Enttäuschung.

    Graf Die Einfalt war eben auch meine Heilige! Ich träumte von ihrem erquickenden Lachen als von einem spritzenden Wasserfall. Ich asinus onustus träumte! … Jetzt bin ich erwacht und höre das Todesurteil von ebenderselben, derselben, mit Hohn sprechen!

    Launer Fassen Sie sich! … sagen Sie’s morgen dem Kaiser, vielleicht straft er die Bosheit.

    Graf Niemals … ich liebe sie noch. Ich bin noch so wahnsinnig, daß ich den Gedanken erwäge, auf den Knieen zu ihr zu gehen und einen Abschiedskuß zu erflehen.

    Launer Das ist in viro feminaler Wahnsinn.

    Graf Ich habe früher im Kohl die Weißlinge gefangen und nicht verstehen können, wie die Falter, die männlichen nämlich, so schwelgen können, bis sie mit todesmatten Aschenflügeln zu Boden fallen! … aber ich begreife es jetzt, nur die Männer sind wahnsinnig in der Liebe … Esel … Männer … Wahnsinnige.

    Launer Halt! wohin Herr Graf? … vergessen wir nicht, wie wir uns retten können.

    Graf Besinnen Sie sich alleine … ich gehe. Wer kommt da? Siegfried, trittst du mir als Notnagel entgegen?

    Siegfried Die gnädige Frau wünscht mich.

    Graf Meine Fassung! … Herr Launer, das ist das Weib.

    Launer Das mir Gott sei Dank nur bei Anlässen begegnet ist.

    Graf Siegfried, willst du nicht mit uns gegen den Feind ziehen? … wir wollen uns hindurch hauen, daß die Lappen fliegen.

    Siegfried Ich kann bloß alleine was ausrichten.

    Graf Stürme voran, wir folgen nach.

    Siegfried Ich bin nun eben auch beleidigt worden, indem man mich zu Hause gelassen hat.

    Graf Freust du dich auf’s Geköpftwerden? morgen?

    Siegfried An mich langt keiner.

    Graf So bist du der schadenfrohe Lucifer!

    Siegfried Was ist denn bloß? warum werde ich so angeschrieen?

    Graf Der Mensch ist zu stark! … er begreift unser Bangen nicht. Was willst du bei meiner Frau?

    Siegfried Ich soll eine Auszeichnung empfangen, hat’s geheißen.

    Graf (erschöpft) – – Herr Launer, haben Sie sich auf Rettung besonnen?

    Launer Wir müssen jemand haben, der beschwört, daß wir keine Welfen sind.

    Graf – – Ich höre nur tolles Summen. Wir keine Welfen! hätte man uns belagert?! … nein, ich gehe auf den Knieen hinauf zu ihr, auf den Knieen! (Sinkt im Tor nieder auf die Kniee, er rutscht darauf fort.) Zu meinem ehelichen Krokodil!

    Launer Da läßt sich nicht helfen. – Hm.

    Siegfried Was ist mit ihm? – dem Herrn Grafen?

    Launer (als gewahrte er ihn erst, drückt ihm schüttelnd die Hand) Ach verzeihen Sie, meinen herzlichen Gutentag, Herr Kollege von demselben Heldenorden. Allein Ihr Erfolg war günstiger, das Ziel war uns beiden das eine und selbe, den frechen Feind zu zermalmen. (Erneutes Handgeben.) Darauf die Bruderhand! Kommen Sie aber nicht an meine Wunde hin, ich habe mir nämlich die Binde entfernt, um nicht sogleich als Welfe angesprochen zu werden.

    Siegfried Warum habt ihr bloß keinen gestreckt? wo sie mich umschwärmt haben wie die Aasgeier.

    Launer Das ist der erstaunlich klare Punkt: Die Gefahr ist nachts größer und der Erfolg ist in’s Dunkle gerückt.

    Siegfried Bei mir hat’s gedämmert, da dacht ich: Druff!

    Launer Bei uns dachte das der Feind.

    Siegfried Ja ja … ich kann’s beurteilen, dasselbe ist’s nie.

    Launer Aber ich will Sie nicht aufhalten, Sie wollten sonder Zweifel zur Braut.

    Siegfried Zu der da! … ist sie nicht.

    Launer Das Fräulein winselt aber am schändenden Pfahl nach Ihnen.

    Siegfried Laßt sie winseln!

    Launer Man darf keinem Menschen die Qual anwünschen, sonst kommen wir selbst einmal an den so betitelten Ort. Haben Sie das Fräulein schon angesehen? es weint Tränen, weil es durch Sie an den öffentlichen Pranger gekommen ist.

    Siegfried Durch mich! … ich hab ihr nichts getan.

    Launer Dort steht sie die Bedauernswerte und friert in die Füße.

    Siegfried Durch mich! … das will ich aber gewiß nicht. Meine Weibsleute tun mir keinen Schnaufer davon. Da ging ich am besten hin und schnürte sie los!? … da gang ich gleich.

    Launer Sie haben als Urheber auch das alleinige Recht, sie abzuschneiden. – Ich finde den mitleidigen Zug sehr schön an Ihnen. (Siegfried ab.) Geh hin und hole die Eselin, der Herr bedarf ihrer.

    Frau Niese (aus dem Hause) War das gerade mein Tochtermann?

    Launer In spe.

    Frau Niese In spe! … was heißt das? … da ist er’s wohl gewest! (Auf die Straße getreten, erbost nachblickend.)

    Launer Lassen Sie ihn ruhig! Er will eine heroische Tat vollbringen. Wie alle Helden zeichnet auch ihn ein Zug weitgehenden Mitleids aus.

    Frau Niese Wenn der mit seiner Allmachtseinfalt nicht noch in’s Panoptikum (nach Berlin) kommt! … Es bedeutet ja, daß er sie zur Ehre bringen will, indem er sie heiert, die Gefallene.

    Launer Das wäre allerdings grandios, haben Sie Ideen!

    Frau Niese Die hat man, wenn man zweite Mutter für eins ist.

    Launer Sagen Sie ruhig Schwiegermutter, das Wort behält durch alle Äonen seinen Klang.

    Frau Niese Hinter allem stecken Sie.

    Launer Ich? … geliebte Dame!

    Frau Niese Sie haben ihn gewißlich uff sie gehetzt.

    Launer Wie soll ich in meiner Zusammengebrochenheit noch eine Treibjagd veranstalten?! Ich geistig längst voraus Enthaupteter!

    Ricke Wahnsinn! … Muatter! halte mich fest! … a … a … da vor ein paar Sekunden red ich noch mit ihm … und jetzt! … und jetzt! … führt er … eine frisch eingehandelte Kuh vom Markt. Muatter! wo hat der seinen Geist? Er muß auf den Weißenhof. Komm mit Muatter, diesmal werde ich tätlich gegen ihn. (Im Fortstürzen, mit Frau Niese) Ich werde noch mit dir fertig!

    Waibel (von anderer Seite) Ich habe die Verantwortung. An mir geht’s hinaus.

    Launer Der Herr bedarf ihrer.

    Waibel Der Herr Graf? (Stillstehend.)

    Launer Ich fühle mich als die Zentrale der ausgleichenden Gerechtigkeit.

    Waibel Sie bedürfen …? dann soll ich es geschehen lassen?

    Launer Wie gedenken Sie den morgigen Tag zu erwarten?

    Waibel Mit Geduld. Die Herren werden eben sehen müssen, wie sie meine Kinder unterbringen.

    Launer Haben Sie so viele?

    Waibel Die Hälfte weniger als der König von Troja.

    Launer Sie hoffen also, man wird Sie um weiterer Kinder willen begnadigen.

    Waibel Das hoff ich. (Geht langsam in die Gasse ab.)

    Launer So wird sich bei manchem eine trostlose Hoffnung gebären, allein ich werde den Bock in die Hecke gehängt finden.

    Schwester Gretchen (begleitet, an der Hand gezogen, von Siegfried. Weiter um sie herum Ricke und Frau Niese) Lassen Sie den jungen Herrn gewähren! Ich bin so glücklich, daß ich erlöst bin! Warum machen Sie dem Engel Vorwürfe! meine Füße waren ganz erstarrt. Sind Sie froh, daß die Ameisen wieder aus meinen Beinen gekrochen sind. Er ist ein Michael, der mich befreit hat.

    Ricke Ein Michel bist du.

    Frau Niese Ein bloßes Glück, daß du morgen geköpft wirst und die Blamage so mit dir abstirbt.

    Schwester Gretchen Das wollen wir erst noch sehen! Ich werde mich für den Herrn in die Wagschale werfen.

    Ricke Dafür sind Sie zu leicht!

    Schwester Gretchen Ich bin schwer, ich wiege ein Gutes über einen starken Zentner.

    Frau Niese Wir freuen uns schon über dich und dein Mitleid, du bist schon ’n Kriegsheld!

    Ricke Dir kann nix meh den Ruf schmälern! wenn du das meinst.

    Siegfried (um sich fahrend) Darnach frag ich gar nicht. Für euch Gesindel bin ich lang gut.

    Frau Niese Lang gut! ’s wird gar nicht mehr so lange dauern. (Lauter schreiend.) Morgen wird deiner Dummheit der Hals abgeschnitten.

    Siegfried Und dir platzt deine Krampfader, weil ich kein Unmensch bin.

    Die Heinle mit dem Ihren in schnellem Lauf.

    Heinle Ha ha ha, tot schießen könnte ich mich!

    Ricke (gegen sie) Ich hab ihn ja gebeten, daß er’s tut.

    Heinle Gebettelt, du? – – – du.

    Launer (nach mehrmaligem tiefem Hutabnehmen) Meine Ehrfurchtl Meine Reverenz! Mein Kompliment! Meine Hochachtung … Meine Liebe … Meine tiefe Neigung.

    Schwester Gretchen Ich gehe auf nichts mehr ein, ich bin ganz mißtrauisch geworden. Ich habe mich gewandelt.

    Launer Auch ich habe die Zeit zur Buße nicht unbenutzt gelassen. Sie hören jetzt noch die Orgel brummen.

    Schwester Gretchen Ich höre aber gar nichts. So redet der Fuchs wie Sie.

    Launer Sie brummt in mir mit gezogenen Registern weiter wie die Stimme des jüngsten Gerichts.

    Schwester Gretchen Das glaube ich Ihnen recht gerne, aber ich beachte es nicht. Ich bin von meiner Verblendung geheilt. Wenn ich es schildern könnte, wie groß mir die Bedeutung eines Lebens geworden ist. Ich könnte ein Buch gleich der Bibel schreiben, wie offen ich den Himmel gesehen habe.

    Launer Haben Sie mich nicht darin gesehen?

    Schwester Gretchen Alle meine bisherigen Bekannten nicht außer meinem Erretter. Er darf darum auch mit mir heraufkommen.

    Ricke Und auf die Ehre pfeifst du nicht? Wie unser Stier der Samuel einmal aus Versehen den Weinkübel statt den Wassereimer ausgesoffen hat, ist er von da ab um selbigen Kübel mit Scheu herumgelaufen. Der Samuel ist ein gescheiterer weder du.

    Heinle Du sagst, du habest ihn gebettelt.

    Ricke Meng du dich nicht darein.

    Launer (mit verliebt blickenden Augen) In diesen Himmel mit Ihnen hinauf!

    Frau Niese Das ist sein bevorzugtes Recht, da schmiedet sich’s weicher auf Polstern und Katzenhaaren.
    Ricke Laß ihn laufen, er will sie küssen die alte Stopfgans.

    Schwester Gretchen Das sind meine Sachen.

    Ricke Soll ich dir ihre Glatze zeigen?

    Schwester Gretchen Laß meinen Zopf los, Ricke! Du reißt mir die Haare aus.

    Ricke Drei Haare und ein ganzes Nest. Ja, soll ich? soll ich?

    Schwester Gretchen Laß mich los! ich fasse dich an dem deinen.

    Ricke Der ist Rapunzel.

    Launer Ich gestatte es nicht, daß vor meinem Hause, vor allem Volk. …

    Heinle Läßt du sie los! sonst meng ich mich darein.

    Frau Niese Wer mengt sich ein? ich spucke in meine Hände.

    Schwester Gretchen Ich sage es selber, es sind falsche darunter, aber sei barmherzig Ricke und laß es sein!

    Ricke Warum befreit Er Sie nicht? Der Erzmichel.

    Frau Niese Weil’s ein Ruckerchen ist und es schief sitzt.

    Ricke Heinle, drück mich nicht so fest, sonst regt sich meine Faust.

    Der Heinle ihrer Das sollst wagen! … ein blauer Fleck kostet dir das ganze Gesicht.

    Ricke Läßt du dir das gefallen, Siegfried?

    Siegfried Fang du nicht an!

    Ricke (läßt Gretchen los, gegen Heinle) Geh zurück! ich drück dir die Gurgel.

    Siegfried Macht was ihr wollt, ich geh dahin, (geht auf die Burg) die befreit von der Säuerei.

    Launer Rasch, geliebtes Wesen, gehen Sie in’s Haus!

    Schwester Gretchen verschwindet und schlägt die Haustüre zu.

    Ricke Da läufst du davon, wenn sie mich erwürgen.

    Heinle Laß du los, dann laß ich auch los!

    Frau Niese Laß ab Ricke! … es geschieht dir ein Unrecht von ihm. (Die Händelnden gehen auseinander)

    Ricke (in Wuttränen) Ich laß los, weil ich muß … oh ich möcht – was möcht ich zerreißen!

    Heinle Sie hat das Brautrecht erworben, wirst du wissen Ricke.

    Ricke Ich werde verrückt.

    Heinle Werd’s nur! so verfährt aber auch keine mit ihrem Schatze wie du.

    Ricke Wie verfahre ich? … du, sag es mir! Marie.

    Heinle Findest du wieder zu mir? … liegt dir’s im Gemüt?

    Ricke Ich will dich begleiten.

    Heinle Ricke, du bist ein Protzkasten gworden.

    Ricke O ja … es muß doch an mir liegen. Früher ist er nie so verärgt mit mir gewest.

    Der Heinle ihrer Um dich reißt sich keiner.

    Ricke Ja … sagt mir alles Schlechte.

    Heinle Du verdientest keine Offenheit von deiner Freundin. Was war denn dein Vorzug?

    Ricke Der Siegfried hatt’ ich gemeint.

    Heinle Ist ihm sein Vorzug der deine? … diesen mußt du dir erst verdienen.

    Der Heinle ihrer Er ist auch nicht mehr wie wir anderen.

    Heinle Eingebildeter Affe!

    Ricke Gelt, er ist an Held.

    Heinle Und du hast ihn wie ein Glasstängelchen in Watte gelegt. Frisch aber nicht rauhborstig, dann auch wieder.

    Ricke Wie muß ich’s anstellen?

    Frau Niese Mach dir keine Sorgen! du bist ein rosiger Apfel.

    Ricke Da hört ihr’s, wer’s in mich hineingeschrieen hat.

    Frau Niese Eine die den Apfel getragen hat.

    Ricke Wohin kommt man, wenn man deine Ratschläge befolgt? (Ab zur Burg … die beiden in die Gasse.)

    Frau Niese Ich hab’s gemacht, wie ich wollte … aber dir muß man ja immer nachhelfen. Ist es nicht so Herr Launer? … kam sie nicht selber stets gelaufen, Muatter Muatter?

    Launer Gewiß, aber man rät doch immer das Beste!

    Frau Niese A … Sie! … auch! … jetzt geht’s uff mich hinein, wo’s verpfuscht scheint. Sie dürfen viel sagen, Sie!

    Launer Ich rede ganz abstrakt.

    Frau Niese Sie mit Ihren Fremdwörtern! Fremdwörter sind aus dem Wörterbuch des Bösen, zum damit albern eingerichtet. Versteht m’r se recht, so heißen se was anderes, versteht m’r se nicht, so lacht m’r en aus.

    Launer Aber liebe wackere Frau Niese, Wir verstehen uns doch sicherlich.

    Frau Niese Gedenkt hätt ich’s!

    Launer Wir haben noch so manche gegenseitige Hilfe nötig, bis der Kampf vollendet ist.

    Frau Niese Ich wüßte nicht. Ich verliere den Humor, wenn man mir so im Gewissen wühlt, wie meine Tochter.

    Launer Tun Sie mir den einen kleinen Gefallen, und werden Sie wieder freundlich zu unserem Fräulein. Ich erwarte lebenentscheidende Dinge von ihr.

    Frau Niese Sie?

    Launer Sie soll einen Eid schwören, daß ich kein Welfe bin.

    Frau Niese Und wie wollen Sie den kriegen?

    Launer Mit Liebesbeteuerungen.

    Frau Niese Die glaubt sie nicht mehr.

    Launer Dann gehe ich einen Schritt weiter.

    Frau Niese Lassen Sie sich aufbieten … auf dem Rathaus aushängen?

    Launer Bis dahin erteile ich Ihnen Vollmacht, gehen Sie nur gleich hinein und reden Sie in dem Umfange mit ihr.

    Frau Niese Herr Achilles, ich fürchte mich … Sie könnten doch noch der Gimpel werden. (Ab.)

    Launer Ich trete nachher wieder zurück, wenn mein Zweck erreicht ist. – – – (Geht auf und ab.)

    Es dauert nicht lange, so kommt Schwester Gretchen in weltlichem Aufputz, einem ihr Gesicht verdeckenden schwarzen Strohhut, heraus … freundlich lächelnd. Sie geht so an Launer vorüber, daß entweder er – sie oder sie – ihn anreden muß.

    Schwester Gretchen – – Sehr traurig stehen Sie da!

    Launer (mit erstickter Stimme) Ich verzweifle.

    Schwester Gretchen Vielleicht findet sich noch etwas, das Sie rettet … armer Herr.

    Launer Ausgeschlossen.

    Schwester Gretchen Ich war in meinem Leben oft verzagt, dann ging es allemal wieder an mir vorüber … damit will ich Sie trösten.

    Launer (heult) Ich kann den Trost von Ihnen nicht annehmen.

    Schwester Gretchen Aber warum denn nicht!? … geehrter Herr.

    Launer Weil … weil ich andere Gnadengaben von Ihnen holdseliges Fräulein zurückgewiesen habe.

    Schwester Gretchen (bitter) Sie erinnern mich an etwas, das … sich unter einem Strom von Tränen weggeschwemmt hatte. Sie erinnern mich.

    Launer Darum ist alles aus … alles aus.

    Schwester Gretchen Es gibt Menschen und hauptsächlich Frauen Herr Launer, die immer wieder etwas Hoffnung zur Schau tragen. Die Hoffnung ist der Frau schönste Tugend.

    Launer Ihre Worte, schönes Fräulein, martern mein arglistiges böses Herz.

    Schwester Gretchen Ich will ja alles tun, reden Sie nur endlich frei!

    Launer Ich habe mich gewandelt.

    Schwester Gretchen Ist das alles? das heißt nicht viel.

    Launer Ich liebe Sie wie’s im Katechismus steht.

    Schwester Gretchen Herr Launer, meine Zeit ist kostbar, ich wollte mich nach den Strapazen ein bißchen ordentlich stärken.

    Launer Liebe, brünstig prächtiges Wesen, ist das kein Wort für dich, das dich entzündet Liebe, die Liebe, um derenwillen die Menschen alles für einander tun.

    Schwester Gretchen Wenn sie in feste Formen übergegangen ist.

    Launer Ich bin ein Freund der wilden Natur.

    Schwester Gretchen Ich des standesamtlichen Schutzes.

    Launer – – auch ich.

    Schwester Gretchen Wir gehen zum Notar und setzen den Eid auf.

    Launer Mir zwirbelt es im Kopfe wie in einer Rutine, Rutine. Sie haben eine Rutine, die Herzen der Menschen zu erforschen.

    Schwester Gretchen Du sollst nicht geköpft werden.

    Launer Und du sollst auf dem Standesamt in jenem vergitterten Kasten, in dem man so schlecht lesen kann, mit mir prangen.

    Schwester Gretchen In dem meine Augen sich bisher mit feuriger Glut verloren, ohne den eigenen Namen darin zu finden.

    Launer Wenn es nicht öffentlich wäre, ich würde Sie hier Orts öffentlich küssen.

    Schwester Gretchen Tu’s doch! wir gehören jetzt zusammen.

    Launer Ehe das „du“ bei mir festsitzt kann sich mein Mund nicht zu dem höchsten Symbol menschlicher Adhäsion komprimitieren.

    Schwester Gretchen Du komprimitierst mich keineswegs, Achilles.

    Launer Aber nun fort da, von den beleidigten Mauern eines in’s Wanken geratenen Heims ewiger Selbstaufopferung. Sie sind doch auch für Eile.

    Schwester Gretchen Für den ersten Kuß.

    Launer Ich gebe ihn drunten in der schweigsamen Vorhalle des Magistrats. (Ab … mit ihr.)

    Frau Niese nach einer Weile aus dem Hause, hustet, beinahe zugleich der Waibel, sie lachen beide.

    Frau Niese Sie kommen Herr Waibel, weil ich’s hörte. Und ich komme, weil Sie’s mit anhörten.

    Waibel Man könnt glauben, man sei im Paradiese, wo der Mensch und das Tier auf du standen.

    Frau Niese Aber im Vertrauen!

    Waibel (wißbegierig) Ja …

    Frau Niese Er will sie nachher wieder fallen lassen.

    Waibel Das wäre aber undankbar.

    Frau Niese Darum fürchte ich, diesmal packt es ihn.

    Waibel Mit dem Loslassen hat sie’s überhaupt nicht so eilig.

    Frau Niese Gerade … gerade das!

    Waibel Unsereins wäre froh, es hätte solch eine Aussicht.

    Frau Niese Nur getrost Waibel, ’s Köpfen ist einmal und dann ist’s herum.

    Waibel Ich kann mich mir gar nicht ohne Kopf vorstellen.

    Frau Niese Das denken heute de meesten und morgen fliegt ’r wie geschlachtete Tauben in’s Fegfeuer.

    Ein Trompetenstoß und noch einer und noch einer.

    Frau Niese Horch! Horch! das Zeichen für die Weiber, daß se sich uff dem Schlosse sammeln. Also b’hüt Gott, nehmt’s nicht zu schwer! (Ab.)

    Von allen Seiten strömen Weiber durch das Türchen hinauf zur Burg. Losung: „Die Frauen hinuff, die Mannsleute bleiben da“.

    Launer (flüchtet sich in sein Haus wie ein Mörder) Ich habe die Quittung der Großmutter des leibhaftigen Teufels, daß ich am Leben bleibe.

    Waibel (ruft ihn an) Herr Launer! … patsch! Wir beten ein Vaterunser und er frisiert sich zum Bräutigam.

    Schwester Gretchen (unter den Frauen) Gehen wir denn alle schon hinauf?

    Ein Weib Nachher wird verschlossen, da kommt keine mehr hinein.

    Schwester Gretchen Ich hätte so gerne noch eine Nacht in meinem Heim verbracht.

    Eine Andere Tun Sie’s, dann sind Sie aber nachher vogelfrei.

    Waibel Haben Sie für mich nicht auch so’n Papierchen?

    Schwester Gretchen A … wenn ich Sie sehe, wird mir’s ganz übel.

    Waibel Ich bin nicht der schwarze Mann … ich wollte Sie nur in Ihrem Glück sicher stellen. Doppelt genäht, hebt gut.

    Schwester Gretchen Ich brauche keine Sicherstellung. Es ist schwarz auf weiß geschrieben, von beiden unterschrieben und amtlich beglaubigt und versiegelt.

    Waibel Ich nehme Sie zu meiner Geliebten.

    Schwester Gretchen Aber wenn ich Ihnen jetzt den Eid leistete, könnten noch mehrere zu mir kommen und dasselbe wollen.

    Waibel Schüde das was?!

    Schwester Gretchen Leider, ich muß gehen, das Tor wird geschlossen .. auf Wiedersehen. (Tor zu.)

    Waibel In einer andern Welt.

    Launer (tritt aus dem Hause) Nicht seufzen mein Lieber.

    Waibel Sie haben gut reden.

    Launer Ich werde allerdings – und es läßt sich schon mit einiger Klarheit überblicken – morgen neben vielen hundert weiblichen Wesen der einzig überlebende Mann sein.

    Waibel Was soll das unter so vielen! Träfe es wenigstens mich!

    Launer Meine Verpflichtungen steigern sich in progressiv potenzierter geometrischer Reihe. Nachgerade so, daß ich im Gedanken daran so nervös werde und ich es überlege, ob ich mich nicht doch lieber zur Ruhe setzen lassen soll.

    Waibel Das sagen Sie nun so, um mich nicht neidisch zu machen.

    Launer Auch wird mich, hoffe ich, das heitere Morgen nicht nötigen, meine Passionen aufzugeben.

    Ein Haufen Männer mit gesenktem Kopf, darunter der Stammtisch-Präses, der Herr Oberpräzeptor.

    Launer Ach Herr Oberpräzeptor und alle Herren des wohledlen Stammtisches! wo waren Sie denn die Tage? (Mit händeschüttelnder Begrüßung.)

    Oberpräzeptor Wo waren Sie? … wir waren da.

    Vorhang.

    Fünfter Aufzug.

    Personen: Auf der Bühne erscheint schließlich alles was bisher vorhanden war. Neu ist Seine Majestät Kaiser Konrad III. der Hohenstaufe mit Kriegsrat und Soldaten.

    Szene: Im Harfenturm der Weibertreu. Durch die dicke Mauer führen (zum Unterschied) abweichend von dem Jetzt-Zustand der Ruine zwei Eingänge, einer ins Freie, einer in die Gemächer des Schlosses.
    Ricke und Siegfried im Gespräch, andern Tags.

    Ricke Ich war davon benommen, der Tag ließe sich für uns hinausschieben und die schöne Nacht in dem schönen Schlosse verlängern.

    Siegfried Ricke, wenn sie mich binden wollen, spring ich den Kaiser an.

    Ricke Wie wird es aber auch gehen! ’s geht mir zu kurz und zu lange, bis es sich über dich entschieden hat.

    Siegfried Wenn ich nur die Kraft in meinen Armen behalte, ’s ist mir heute so in den Gedärmen.

    Ricke Gott Siegfried laß keine Schwäche über dich kommen!

    Siegfried Ich hoffe es nicht. –

    Ricke – – Hältst du dich gewiß?

    Siegfried (ziemlich verzagt) Ja. Ich will’s.

    Gräfin aus der Türe rechts, beim Aufgehen der Türe Geräusch wie in einem Immenhaus, drinnen waschen sich die Weiber unter lebhaftigem Geschrei und Unterhaltung.

    Gräfin Wie habt ihr beide die Nacht verbracht?

    Beide schweigen.

    Gräfin Glaubt Kinder, ich habe kein Auge zugetan. Was uns bevorsteht ist keine Kinderei. Bist du gefaßt, Siegfried?

    Siegfried Das kann ich voraus nicht sagen, als bis ich die wiedersehe, die mir zugesetzt haben.

    Gräfin Und du Ricke!

    Ricke (schluchzt hinaus) Sie hätten das nicht tun gesollt! Es sind doch welche darunter, die aneinander hängen.

    Gräfin (seufzt) Ja, deren sind welche.

    Ricke Muß es denn sein?

    Gräfin Es wird viel davon abhängen, wie der Kaiser aufgestanden ist, mit blutigem Grimm oder mit Lust.

    Siegfried Ich ha gemeint, das sei alles ausgemacht.

    Gräfin Das ist’s. (Geht wieder.) Für euch zwei Kostbarkeiten ist es schad. (Ab.)

    Ricke Was hat sie gesagt?

    Siegfried Sie hat ein gebildetes Deutsch.

    Ricke Für uns zwei Kostbarkeiten sei es schad?

    Siegfried So könnt’s geheißen haben. Ja.

    Ricke Du, mir wird’s so krutzelig fröhlich im Gemüt. Sie will für uns zwei was Besonderes tun. Wenn sie zum Beispiel mit dem Kaiser unseretwegen redete.

    Siegfried Es nimmt sie stark mit. Sie hat ein Gefühl mit ös (uns.)

    Ricke Die Gräfin ist eine Frau.

    Siegfried Merkst es nun auch? Die Gräfin ist ein Geschöpf Gottes. Die Gräfin ist was, das mich entzündet. Alleweil freundlich. Und auch ein weng was zierliches in ihrem Benehmen.

    Ricke Die gefiele dir besser wie ich. Narr, ich bin keine Gräfin, das brauchst du mich nicht fühlen zu lassen. Mich beschämt der Unterschied selber.

    Siegfried Mach es doch geradeso wie sie. Die schimpft einen nie.

    Ricke Und der Graf? hast du ihn schon gefragt?

    Siegfried Na der, wie einer eben auch ist.

    Ricke So sag’ ich über dich auch. Aber schweige davon, m’r wollen uns den kleinen Rest nicht zanken.

    Siegfried ’s geht einem ’s Herz uff, wenn man sie siehet. Aber in einem ganz reinen Gedanken.

    Ricke Hätte man mehr Umgang mit so einer Frau, täte man sich mit so einer im Obscuren aufgewachsenen Muatter nicht so stibitzen lassen.

    Siegfried ’s ist gut jetzt. Die Hauptsache ist, daß du meine Meinung kennst.

    Ricke Meinst du etwa, deswegen werde ich anderschter? Für dich bin ich passend.

    Siegfried Ich will nichts an dir aussetzen, aber daß die dir auch gefällt, mußt du zugeben.

    Ricke Das gebe ich ja zu.

    Siegfried So … das denk ich.

    Ricke Was du denkst!

    Gräfin, geschäftlich mit energischem Schritt.

    Gräfin Ricke, geh einmal hinauf auf den Turm und sieh nach, ob der Kaiser mit seinem Heer schon in Bewegung ist.

    Ricke Ja … ich will gehen.

    Gräfin Nur nicht so langsam, flink und umsichtig!

    Ricke Ja flink (geht besinnlich).

    Gräfin – – Hast du bei deiner Unternehmung den Kaiser gesehen?

    Siegfried Ich habe einen gesehen, um den die andern immer herumzickelten, wie wedelnde Hunde.

    Gräfin Dann ist er’s gewesen. Wie sieht er aus?

    Siegfried Ganz gewöhnlich … wie ein Mensch.

    Gräfin Ich meine, war er freundlich, finster, bös, heiter, zornig, grausam, lustig … wie war er?

    Siegfried – – Er hat sich nicht viel anmerken lassen, er guckte bloß immer gerade aus auf das Schloß.

    Gräfin War dabei sein Gesicht grämlich?

    Siegfried O! … mir hat er gefallen. Wenn nur ich in seiner Umgebung wäre, statt der andern, hab ich gedacht!

    Gräfin Warum hast du das gedacht?

    Siegfried ’s ist mir so vorgekommen, als wären se ihm zu dumm.

    Gräfin (für sich) Er ist stolz. Stolz, ich muß … um willen … Verachtung ertragen.

    Siegfried Da gäbe ich ihn uff!

    Gräfin Laß es nur!

    Siegfried Sie verachten!

    Gräfin Beantworte mir lieber eine Frage. Wenn ich mit jemand zwei Dinge ausgemacht habe, zwei, so muß ich immer das erste zuerst ausrichten …?

    Siegfried An einem Beispiel verstünd ich’s eher.

    Gräfin Wenn du zum Beispiel deiner Ricke erst versprochen hast, sie zu heiern, und nachher versprichst du’s einer andern, wen heiratest du dann?

    Siegfried Ich habe es niemand anderem versprochen. Hört uff mit der Lüge!

    Gräfin (herzhaft) Ich meine jetzt nur „wenn“ … wenn du’s tätest.

    Siegfried Da müßte ich Tinte gesoffen haben, wenn ich das täte.

    Gräfin Du tust’s nicht … aber wenn du so dumm wärst und du’s tätest.

    Siegfried Da wäre ich auch dumm, da wäre ich auch dumm. Hat die Gretchen so was behauptet?! Dann schlag ich ihr eins auf den Nischel, heute komme ich der ganz anders. Die paar Stündchen laß ich mir mit meinem Rickel nicht verderben.

    Gräfin Von ihr rede ich gar nicht. Setze den Fall, du versprächst es zum Beispiel nachdem du’s deiner Ricke versprochen hast, auch … mir. Verstehst du’s so?

    Siegfried D … dann heiratete ich die, die mir besser gefällt, und die mehr ist.

    Gräfin Also die Ricke, die erst versprochene.

    Siegfried Nein. Sie.

    Gräfin Die zweite! (Nicht ohne zornigen Eifer.) Warum denn?

    Siegfried Weil das mein Vorteil wäre!

    Gräfin (wandelt unruhig umher) Recht nett von ihm, recht nett. Wenn der Kaiser auch so befindet, dann sind wir verloren. (Schreit Siegfried an.) Ich habe mich auf die freie Erfüllung der ersten Bedingung verlassen.

    Siegfried Sind Sie beleidigt?

    Gräfin Siegfried, ich zittere … habe Angst; nimm jetzt deine Gedanken zusammen, wenn ich dich frage.

    Siegfried Ja. (Schlotternd.)

    Gräfin Versprächst du zwei Dinge zugleich, was dann.

    Siegfried Ich heiratete alle zwei.

    Gräfin (stürzt händeringend in den andern Ausgang, kehrt wieder um) Schmiedsgeselle. – Es ist versprochen, daß die Frauen ihre Kostbarkeiten mitnehmen dürfen, so viel sie tragen können. Dürfen sie das dann?

    Siegfried Ja … wenn der Kaiser sein Versprechen hält.

    Gräfin Wenn die Frauen aber Kostbarkeiten mitnehmen, die eigentlich keine sind, was dann?

    Siegfried Dann nehmen se halt Geplunder mit, was geht’s den Kaiser an.

    Gräfin So. Du hast verstanden, das wollt ich wissen.

    Siegfried Ich habe nicht gewußt, daß die Frage so einfach ist.

    Gräfin Darum denkt man.

    Siegfried Das ist nicht immer so einfach.

    Ricke kommt gelaufen.

    Ricke (ruft) Se – – (bleibt stehen und guckt) brechen auf.

    Gräfin Was tun die Männer?

    Ricke Der Herr Graf liegt draußen am Eingang auf den Knieen.

    Gräfin (erblaßt) – – Ricke, mach du auf. Laß ihn herein, wir müssen die Männer jetzt heraufrufen … Eile!

    Ricke und Gräfin ab nach verschiedenen Seiten.

    Siegfried (sieht sich geniert um, weil er allein ist) Ganz ohne Feuer ist se auch nicht.

    Frau Niese (tritt ein, sauber) Jetzt bin ich gewaschen und meine Kostbarkeit ist meine Jugendfrische. Sieh her Sieger, so wäre meine Ricke einmal geworden, wenn du sie hättest durch’s Leben begleiten dürfen. Wer sich sauber konserviert, kann noch im Alter freien. Die Staufen können kummen.

    Siegfried Muatter, du bist auf dem Schlosse.

    Frau Niese Wo man ist, stets frei, wer möcht’s verbieten?! Kommt ihr! da ist der Siegfried und spielt den Burgvogt unter uns.

    Einige Weiber und Schwester Gretchen drängen sich herein.

    Weib War er nicht der alleinige Mann heute nacht auf dem Schlosse?

    Schreiendes Gelächter der Weiber.

    Frau Niese Das hat ihn zum Sittenprediger gemacht.

    Wieder Gelächter: „Siegfried, laß dich streicheln!“

    Siegfried Geht ’r weg! man wird ja hysterisch.

    Frau Niese Was sagt ’r? störrisch, das war er immer. Hier kannst du’s ablegen. (Lachen.)

    Siegfried Das sag ich, lieber in ein Wespennest stechen, als in so ’n’n Haufen.

    Frau Niese (unter Gelächter und Stupfen der andern) Die stechen, die Wespen! alle die sich hereinwagen, nicht wahr Fräulein Schulmeister.

    Schwester Gretchen (schnellweg) Der junge Mann weiß gar nicht, was eine Frau ist.

    Frau Niese Hört es nur, wie die Gretchen jetzt spricht!

    Schwester Gretchen Es ist wahr, so ein Jüngling bringt eins höchstens in Verlegenheit.

    Frau Niese Ja, ist denn das nichts mehr zwischen sie? Ich dacht ’s ging von neuem.

    Schwester Gretchen Der junge Mann blieb nicht fest. Die Jugend ist voll Wankelmut und Schwäche.

    Frau Niese Siegfried, von dir ist die Rede.

    Siegfried Eine Närrin hat Redefreiheit.

    Schwester Gretchen So? … Närrin! … in einem Weilchen! … du wärest vielleicht froh, mein Auserwählter zu sein, aber meine Wahl fiel auf einen Beamten … Wer weiß es! … der heutige Tag wird wohl mein Hochzeitstag, während die andern Frauen alle verwitwen.

    Geschrei der Weiber – – Das ist eine Herausforderung, schmeißt sie in den Graben! In den Graben!

    Frau Niese Hört! Hört! … ’s ist ihre letzte Zauberei.

    Weib Die hat mir ihre Hochzeit schon oft angesagt.

    Schwester Gretchen Diesmal ist’s!

    Weiber Und wir andern? prophezeie Hexe!

    Schwester Gretchen Verwitwen.

    Frau Niese Schmeißt se in den Graben! m’r tun vielleicht dem „Herrn mit dem Papiere“ einen Gefallen.

    Schwester Gretchen Ich rufe um Hilfe.

    Ricke (hereingesetzt) Gretchen! … das Ende!!

    Schwester Gretchen … m … m … ich schweige.

    Ricke Ein bißchen leiser jetzt, der Herr Graf kommt.

    Es wird erwartungsvoll still, man hört einen auf den Knieen Laufenden kommen.

    Graf (noch im Gang) Sophie, mein teures Weib … hast du … keine Gefühle mehr für mich?

    Frau Niese (beim Sichtbarwerden des Grafen) O … O! der edle Mann! … o … o! der beliebte Herr Graf in solcher Demut! weinen m’r da nicht? (Alle Taschentuch.)

    Die Gräfin kommt.

    Graf Sophie, hast du kein Erbarmen übrig, mich zu verbergen?

    Weiber O … das müssen Se tun. Der Herr Graf ist unser Liebling.

    Gräfin (verstellt) Nein. Es muß sich vollenden.

    Lauteres Geschluchze: „Er kniet ja“.

    Graf Sophie, hast du keine Träne für mich?

    Gräfin Gatte. Die Lage ist zu ernst.

    Graf Für solche Lagen hat Gott die Wasserbecken über den Augen bereit gestellt. Gerade dafür.

    Gräfin Vor allem stehe auf.

    Graf Ich kann nicht, meine Kniegelenke sind verschnappt.

    Gräfin Siegfried, helfe deinem Herrn!

    Siegfried Herr Graf, ich erlaube mir. (Es geschieht.)

    Frau Niese Diese Wendung! … denkt eins an verwichenen Morgen!?

    Graf Es ist wahr. (Mühsam stehend.) Es gibt ein mahnendes Schicksal … Hätte ich ihn mitgenommen!

    Gräfin (erfreut) Bist du bekehrt? und gestehst du’s ein?

    Graf Bekehrt bin ich. Aber gestehen … gestattet mein Wert, mein Wert nicht.

    Gräfin Hältst du dich für einen Wert?

    Graf Sophie, du mußt es fühlen. Wir waren viele glückliche Jahre auf’s glücklichste vereint, und auf’s unglücklichste hast du dich, weil du kein Stratege bist, verändert.

    Gräfin Mann, dein Wert ist dir so eingebildet, daß ich an ihn glauben muß.

    Graf (rasch) Bin ich dein Juwel? dann –

    Gräfin (abwehrend) Nicht zu viel und zu rasch!

    Weiber Solch ein Mann ist ein Juwel … seht doch die Kniee! die Kniee! (Taschentücher.)

    Graf (über sich selbst gerührt) Dann verberge mich, vergrabe mich wie den Schatz im Acker!

    Gräfin Nein ich werde mich öffentlich mit dir schmücken.

    Graf Ich werde von dir gerissen, dann! tu das nicht!

    Gräfin Willst du mein Juwel sein? wie darf ich dich tragen?

    Graf – wenn ich kein Lügner an der Versicherung meiner ewig bleibenden Neigung zu dir werden will, dann wie du willst.

    Gräfin Dann …

    Waibel kommt und meldet, aus der inneren Türe.

    Waibel (sehr furchtsam) Ich wage zu melden, hochbegnadigte Frau Gräfin … wir sind da.

    Gräfin Es ist gut … die Frauen alle! drinnen warten eure Juwelen, um euch noch einmal am Halse zu liegen.

    Frau Niese Wie mein Alter ein Juwel sein soll … (Die Weiber verlieren sich, die Türe in den jetzt dicht gefüllten Raum bleibt offen, sie schlägt in einen Haken ein.)

    Gräfin (besieht den Gemahl) Jetzt sehe ich’s erst … man müßte dir eigentlich noch ehe Majestät kommt Flecke aufsetzen.

    Graf Für diese Prozedur genügt jede Toilette. Der eitelste Geck wird zur Vogelscheuche. Am ehesten noch, daß ich so Caesars Mitgefühl wachrufe.

    Gräfin Hoffst du denn noch?

    Graf Was bleibt mir anders, als der blöde Faden!

    Gräfin Da sehe die Ricke an, die wird ihre Kostbarkeiten hinaustragen.

    Graf Sie hat nichts an sich.

    Ricke ’n Blitz! … ’n Blitz … ’n Blitz in mir, ich hab’s. (Stürzt an Siegfried.) … Siegfried, du bist mein Juwel … Frau Gräfin, hab ich’s verstanden?

    Gräfin Nicht zu erregt!

    Frau Niese mit ihrem Mann, an der Hand, erscheinend.

    Frau Niese Paßt Ihre Bezeichnung auf meinen Nikodemus?

    Schwester Gretchen Was ist dir Ricke? … bist du aus dem Häuschen? … du wirst eine alte Jungfer werden, das wünsche ich dir.

    Ricke Muatter, verstehst du das nicht mit dem Juwel? Mutter, den Vater … (Sie hüpft und tanzt) Du wirst. Mutter … o du Muatter … der Vater.

    Gräfin Sei still, Ricke, sie sind hart, sie wollen und sollen’s nicht verstehen.

    Launer (eifrig) Ist es wahr, hochedle Herrin, haben Sie das Küssen befohlen?

    Gräfin Ich habe zum Abschied aufgefordert.

    Launer Das lautet etwas anders, ungeduldiges Fräulein Braut. Bei uns drängt es nicht, so entschuldige ich mich … (mit Verbeugung hinaus) höflichen Verzicht.

    Schwester Gretchen Wie das manchem Herrn schwer fällt! … Hü!

    Frau Niese Man möchte sich eben noch vor dem Letzten nicht noch um seine Grundsätze bringen.

    Ricke Mutter, Mutter … was sprichst du noch allweil vom Letzten … Mutter, es kann uns doch ewig am Halse hangen.

    Frau Niese Wer? … der Mann? … wird er nicht –? aber ’s ist doch so in den Akten.

    Graf So in den Akten! Akten sind für uns Kandidaten ein häßlicher, beunruhigender Gedanke.

    Ricke Siegfried, glaub ihm nicht! … Akten sind ’n vollgeschmierter Wisch Papier.

    Graf Was hattest du nur für einen Blitz, Mädchen?

    Ricke Siegfried, bist du auch so dumm?

    Gräfin Still … scheint mir, der Kaiser kommt. Ricke, öffne die Tür und komm zurück. Die Frauen sind (Ricke geht) alle im Reinen?

    Leise Unruhe bei den Wartenden. Ricke kommt zurück und winkt zur Ruhe.

    Gräfin Alles fertig? … Ruhe! … Aufgepaßt! Ich fordere die Frauen alle auf, ihre Kostbarkeiten an sich zu halten und hinauszunehmen, wie es eben geht.

    Ricke Siegfried, sitze auf!

    Siegfried Was heißt das?

    Weiber Ist das gemeint? – Ja wie?

    Gräfin Bitte Gemahl!

    Graf Ich auch?

    Frau Niese So machen m’rs halt nach … Alter, schwingst dich auf?

    Dem Beispiele folgen alle bis hinten hinein in die fernsten Ecken des Nebenraumes.

    Graf Sophie, eine Erleuchtung wird mir, du bist ein Genie von Liebe und Treue.

    Gräfin Hoffentlich erkennt er’s an.

    Graf Sophie, dir leben und sterben ganz!

    Launer (erscheint spottend und erregt) Das wird sie nichts nützen. Ich allein habe Gewißheit. Ich allein. Machen Sie nur diesen Scherz rückgängig, obgleich er im Übrigen mein Wohlgefallen findet.

    Schwester Gretchen Selig sind die Damen, die jetzt noch keinen Mann haben, sondern erst nachher … Sie werden alle betrogen sein!

    Frau Niese Jedenfalls haben Sie immer noch nichts.

    Graf Ich gebiete Achtung vor dem ungeheuer opferwilligen Befehl meiner treuen Hälfte, es ist wahrhaftig keine Kleinigkeit für sie. Achtung! richt euch! Augen gerade aus!

    Kaiser mit Gefolge zu Fuß. Sporenklirren. Säbelrasseln. Kaiser steht wie eine Säule.

    Kaiser Da steht mir der Verstand still.

    Frau Niese (murmelt) Mir an und für sich auch.

    Gräfin Majestät!

    Kaiser Kein Lachen mehr … es scheint … es scheint gar ernst gemeint.

    Gräfin Majestät hat versprochen … den Frauen freien Abzug … und Mittragen von Kostbarkeiten soviel Ihnen gefällt.

    Kaiser Allerdings Juwelen, Gnädige.

    Gräfin Mein Mann ist mein Juwel.

    Lachen bei den Staufen.

    Kaiser Herr von Rechberg! Doktor aus Bologna!

    Beide kommen vor: „Zu Gnaden!“

    Kaiser Das empfängt uns! … ein Mann allein und eine Einsame. Zu Protokoll. (Doktor schreibt.)

    Dottore Wenn dieses Blatt in tausend Jahren gefunden wird, das wird kein Mensch glauben wollen.

    Launer Gnade, Majestät!

    Kaiser Zuerst Notiz! dann Bitte … gnädige Frau, zu Ihrer Erleichterung gestatte ich die Last abzusetzen.

    Gräfin (keuchend) Es ist keine Last … setzt sie nicht ab!

    Kaiser O, mein feines Gefühl nimmt es an … also bitte.

    Frau Niese (läßt ihren herabrutschen) Das ist ja! … wie soll der Meine ’n Juwel sein, das sind Albernheiten, gnädige Frau.

    Kaiser Das wäre einmal einer … Notieren!

    Gräfin Majestät hat sein Wort zu halten.

    Kaiser Dann mein Wort, Sie dürfen ihre Gemähler wieder aufnehmen, sobald ich mich entschieden habe, ob ich auf diese ihre List eingehen darf.

    Alle lassen die Männer herabgleiten, außer Ricke.

    Ricke Ich halt dich fest, nummero sicher.

    Kaiser Allaliebst … niedliche Kleine.

    Sprecher Sie trägt den Mann, der unter uns die Wüstenei angerichtet hat.

    Kaiser Dies Paar findet meine erste Gnade. Er kommt in die Garde. Begnadigt!

    Dottore Steigen Sie ruhig ab, Sie sind begnadigt.

    Ricke Siegfried, nu wird es schön. (Läßt ihn herab.)

    Graf Also man mußte Totschlag verüben, um Gnade zu finden!

    Kaiser Herr von Rechberg, kann es mir genehm sein?

    Sprecher Es sind Rebellen, die allüberall schwer bestraft wurden.

    Kaiser Gnädige Frau, es wird mir leid tun müssen.

    Gräfin Majestät; die Übergabebedingungen lauten erstens … zweitens. Das erste muß zuerst gehalten sein und wenn es das zweite ausschließt.

    Siegfried Ja … das ist so. Meine Faust druff! wenn’s geleugnet wird.

    Sprecher Wenn … dann … ja … schon … also … Majestät.

    Kaiser Mich zwingt keine Drohung.

    Graf Siegfried, du bist schon kaiserlich, du redest also nicht mit.

    Kaiser A … ist der Graf so klug im Zungendienst und so untauglich mit der Waffe? Es bleibt eine Doktorfrage.

    Dottore Ich empfehle hier Gnade … wir können hier schon.

    Kaiser Was Doktor! du fühlst dich auch unwohl in diesen Mauern. Studiert man Rechte zum Gefechte? – – Gnädige Frau Gräfin, man hinterbrachte mir, Sie haben selbst das Todesurteil für den Gemahl befürwortet.

    Gräfin Hat ihm das geschadet?

    Kaiser Ich faßte es als einen Antrag von Ihnen an mich auf, gnädige Frau.

    Gräfin Darum hätte ich gewünscht, daß er mutiger gewesen und bis an’s Kaiserzelt gedrungen wäre.

    Kaiser Das sind die Frauen Weinsbergs, harte Reibeisen und treu ihren Männern. Die reinste Weibertreu!

    Sprecher Wie wir’s fanden.

    Frau Niese Ja nu! … wie ist’s denn nun? trägt man den Seinen hinaus oder nicht? Majestät.

    Kaiser Wir müssen schnell entscheiden, um den guten Eindruck auf die Damen Weinsbergs nicht zu verscherzen … haha. Ich entscheide also, daß …

    Launer Zu Gnaden Majestät! ist nicht ein solcher Eid, wie ich ihn untertänigst überreiche, ein viel eklatanteres Manifest?

    Kaiser Was ist das, Doktor?

    Dottore Ein Eid, einer sus-pendierten Schulmeisterin, daß Überbringer, Herr Achilles Launer kein Welfe ist.

    Graf Herr Launer, Sie wollen um Ihr nutzloses Leben das Leben aller Mitbürger verwürgen. Das ist ein hundegemeiner Charakterzug von Ihnen.

    Launer Ich kann nicht helfen, das ist der Selbsterhaltungstrieb.

    Männer Er gehört nicht zu unserer Gemeinde.

    Graf Es ist unerhört, Majestät wollte uns alle begnadigen, da kommt dieser Agent.

    Kaiser Graf, ob ich begnadigen wollte!

    Allgemeine Entrüstung, aller von Weibern und Männern, über Launer.

    Schwester Gretchen Ich hab es gleich gesagt, wie’s kommt. Wir heiraten und Sie werden ledig.

    Graf (offen vortretend) Ich übe mein gräfliches Recht über ihn aus und …

    Kaiser Nein, nein, comte de Weinsberg.

    Schwester Gretchen Ich und mein Mann werden den Schwaben dienen.

    Kaiser Über wen soll ich zuerst richten?

    Sprecher und Dottore Ruhe gebietet der Kaiser.

    Kaiser Dieser Graf bietet sich kläglich dar. Sie haben nicht einmal ganze Hosen.

    Graf (verlegen) In treuer Minne durchgerutscht.

    Kaiser (zum Gefolge) Davon will ich ein Lied hören.

    Dottore Werde es selbst komponieren.

    Kaiser Wie bescheiden Sie sich mit dem Manne, Frau Gräfin?

    Gräfin Recht gut.

    Kaiser Das läßt sich annehmen. So stand noch keiner vor meinem Thron. Da allerdings läßt sich begreifen. Ich glaube, daß er Ihr Juwel ist. Begnadigt!

    Graf So hat mich’s doch etwas genutzt.

    Launer Ja soll das so weiter gehen? … die Herren sind außer mir alle Welfen.

    Kaiser Mensch, wie kamen Sie zu dem absonderlichen Papier?

    Schwester Gretchen Ich hab’s geleistet … das ist was Unumstößliches.

    Dottore Untersuche ich Ihre Züge, so empfinde ich, Sie sind das Fräulein vom Pranger.

    Kaiser Die Sache hat kein öffentliches Interesse. Der Wisch da sieht so verschmökert aus. (Wirft ihn weg.)

    Launer Ich kann auf Grund des Papiers nicht geköpft werden.

    Kaiser Das Mädchen will reden.

    Schwester Gretchen Ich klage die Behörde an, daß sie mich stets gedrückt und mißhandelt hat. Ich wurde meines Amtes ungerecht enthoben, ich – es lebte ein Dekan – – wollte ihn – ließ nicht gefallen – heiraten – suspendiert.

    Kaiser Das ist privatrechtlich. Haben Sie dem Herrn die Heirat auch versprochen?

    Schwester Gretchen Ja … er mir.

    Kaiser Also ein Eid aus Bestechung.

    Dottore Jawohl, sie schrie über diesen, er sei ein Erzwelfe.

    Launer Ich habe ihr nichts versprochen.

    Schwester Gretchen Jawohl, du hast versprochen.

    Launer Sind Sie nicht töricht, es heißt sonst, es sei ein Meineid, der mit seltenen Ausnahmen Zuchthaus einbringt.

    Schwester Gretchen Ich bleibe fest.

    Kaiser Dieses Papier nützt also gar nichts.

    Launer Ich bin trotzdem kein Welfe, die Dame war früher sehr gehässig zu mir.

    Kaiser Diesen Eid leistet man, hauptsächlich ein hochbetagtes Fräulein, nicht aus Haß.

    Launer Ich nehme es aber an.

    Schwester Gretchen Aus Liebe tat ich’s.

    Kaiser Fertig damit! Das Gesuch wird abgelehnt. Meine Gnade finden die vereinten Paare. Ich will mein Königswort nicht drehen und deuten!

    Stürmischer Applaus durch die ganze Burg.

    Launer Verzeihung! noch einen Einwurf. Majestät, ich bin seit fünfundfünfzig Jahren eingefleischter Junggeselle, ich kann nicht auf diese verhängnisvolle Art aus diesen Mauern reiten. Ich flehe darum um Gnade Grund des Papiers!

    Kaiser Wollen Sie hinaus, so müssen Sie jemand erwählen.

    Launer Ich kann das nicht.

    Kaiser Versprechungen vortäuschen scheint Ihnen jedoch keine Schwierigkeiten zu bereiten.

    Launer Die Angst vor diesem Ritt war’s, die mich verführte.

    Schwester Gretchen Davon war Ihnen gar nichts bekannt.

    Kaiser So müssen Sie das Schaffot besteigen.

    Schwester Gretchen Dann sind Sie eben auch wieder ein Erzwelfe.

    Kaiser Das Fräulein wird gefangen gesetzt.

    Schwester Gretchen Im Augenblick des vor Augen gestellten Glücks kam’s über mich, der Herr sei gerecht.

    Kaiser Sie haben Heiratsbureau im Kopf. – Sehen Sie sich nicht doch lieber um Herr Launer.

    Launer Diese Pute kann ich aber am wenigsten, ich hasse sie wie mein Selbst.

    Kaiser Es wird noch was für Sie sonst frei sein.

    Launer Wartet Majestät noch so lange mit dem Urteil, ich will suchen. (Er rennt den Zug hinab.)

    Schwester Gretchen Der Herr dürfte von Rechts wegen gar nicht wählen. Sein Versprechen an mich beweise ich.

    Frau Niese Da rede ich ein Wörtchen mit. Ich habe davon nichts gehört und der Waibel auch nicht.

    Kaiser (sich abwendend zu Siegfried) Wie lange bist du schon verheiratet, Siegfried?

    Siegfried und Ricke erröten beide.

    Schwester Gretchen Das Paar ist ledig. Das geht auch nicht vom Gesetz aus, daß die miteinander hinausgehen. Der Anstand verbietet’s.

    Ricke Siegfried, was sind wir?

    Siegfried Lieber schweigt man, als daß man’s sagt.

    Schwester Gretchen So zahlt man heim, Ricke.

    Kaiser Sind Sie nicht so gehässig, es könnte Sie noch reuen. Ich verordne, daß was in bestimmter Weise an mir vorbeiparadiert staatsrechtlich zusammengehört.

    Schwester Gretchen Das ist nicht von Gott.

    Kaiser Ich verkünde Schl(uß).

    Launer (schwitzend) Majestät, es findet sich nichts.

    Frau Niese Sie sind aber ungeschickt.

    Launer Ich gab mir alle Mühe, aber die jungen Fräuleins hinten lachten mich alle aus, auch sind die meisten schon gedeckt.

    Kaiser Es ist nicht Zeit mehr. Schluß!

    Launer (stürzt vor Gretchen in die Kniee) Dann du.

    Schwester Gretchen Ich erhöre dich. (Schlägt sich auf die Brust.) Die Wahl blieb bei mir. Er vor mir.

    Dottore Ist nun des Kaisers Wort von Gott?

    Schwester Gretchen Seit Ewigkeit … so ist’s gerecht.

    Kaiser Gnade.

    Das Gefolge feierlich: „Gnade vom Caesar dem Ewigen“. Der Kaiser mit Gefolge ab.

    Graf Nun macht fertig!

    Gräfin Wer kommandiert?

    Graf O du … du herztausendinnigstgeliebte Sophie.

    Gräfin Marsch!

    Der Zug setzt sich in Bewegung hinaus zur Burg.

    Launer Es ist erreicht … alles Bangen ist vorüber. Was meinen Sie Fräulein Gretchen, wenn wir unsern Kleinen wiegen und ihm Vaters Heldentaten erzählen.

    Schwester Gretchen Falle nicht herab, es schüttelt mich, so freut mich der Gedanke.

    Frau Niese Da hat m’r sich nu extra schön gewaschen und hergerichtet und das für dich.

    Nikodemus So komme auch ich einmal zu meinem Feiertag.

    Bürgermeister Vor dem Kaiser bringt jedes Paar ein Hoch aus!

    Der Zug geht rasch hinaus und vorbei. Unter den Paaren müssen die bisher an der Darstellung Beteiligten vor allem durchgehen, es bietet sich hierbei eine ergötzliche Gelegenheit für die Darsteller. Wenn zum Beispiel der Herr Oberpräzeptor balancierend oben sitzt, die Backen aufbläst und spricht: „Keine Ahnung“, so folgt vielleicht der Waibel verheißungsvoll auf seiner Anna.

    Ende.




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