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Jakob Lenz
Die Liebe auf dem Lande
Ein wohlgenährter Kandidat
Der nie noch einen Fehltritt that,
Und den verbotnen Liebestrieb
In lauter Predigten verschrieb,
Kehrt einst bey einem Pfarrer ein,
Den Sontag sein Gehülf zu seyn.
Der hatt’ ein Kind, zwar still und bleich
Von Kummer krank, doch Engeln gleich
Sie hielt im halberloschnen Blick
Noch Flammen ohne Maaß zurück,
All itzt in Andacht eingehüllt,
Schön wie ein marmorn Heiligenbild.
War nicht umsonst so still und schwach,
Verlaßne Liebe trug sie nach.
In ihrer kleinen Kammer hoch
Sie stets an der Erinnrung sog
An ihrem Brotschrank an der Wand
Er immer, immer vor ihr stand,
Und wenn ein Schlaf sie übernahm
Im Traum er immer wieder kam.
Für ihn sie noch ihr Härlein stutzt,
Sich, wenn sie ganz allein ist, putzt.
All ihre Schürzen anprobirt
Und ihre schönen Lätzchen schnürt,
Und von dem Spiegel nur allein
Verlangt er soll ein Schmeichler seyn.
Kam aber etwas Fremds ins Haus
So zog sie gleich den Schnürleib aus,
That sich so schlecht und häuslich an,
Es übersah sie jedermann.
Zum Unglück unserm Pfaffen allein
Der Lilie Nachtglanz leuchtet ein,
Obschon sie matt am Stengel hieng.
Früh eh er in die Kirche gieng
Er sehr eräschert zu ihr trat
Und sie – um ein Glas Wasser bat –
Denn laut er auf der Kanzel schreit
Man hört ihn auf dem Kirchhof weit
Und macht solch einen derben Schluß
Daß alt und jung noch weinen muß,
Und der Gemeinde Sympathie
Ergriff zu allerletzt auch sie –
’s ging jeder wie gegeißelt fort –
Der Kandidat ward Pfarr am Ort.
Obs nun die Dankbarkeit ihm that,
Ein’s Tag’s er in ihr Zimmer trat,
Sehr holde Jungfrau, sagt er ihr,
Ihr schickt euch übel nicht zu mir,
Ihr seyd voll Tugend und Verstand,
Ihr habt mein Herz, da nehmt die Hand –
Sie sehr erschrocken auf den Tod
Ward endlich einmal wieder roth,
„Ach lieber Herr – – mein Vater – ich –
Ihr findet bessere als mich
Ich bin zu jung – ich bin zu alt –“
Der Vater kroch hinzu und schalt,
Und kündigt Stund und Tag und Mann
Ihr mit gefaltnen Händen an.
Wer mahlet diesen Calchas mir
Und dieses Opfers Blumenzier,
Wie’s vorm Altar am Hochzeittag
In seiner Mutter Brautkleid lag,
Wie’s unters Vaters Seegenshand
Mehr litt als es sich selbst gestand;
Wie’s dumpf, nur ahndend seine Pflicht
Entzog den Quaalen sein Gesicht,
Und tausend Nattern in der Brust
Zum Dienste ging verhaßter Lust.
Ach Männer, Männer seyd nicht stolz
Als wär’t nur ihr das grüne Holz,
Der Weiber Güt’ und Duldsamkeit
Ist grenzenlos wie Ewigkeit.
Sie fand an ihrem Manne nun
All seinem Reden, seinem Thun
An seiner plumpen Narrheit gar
Noch was das liebenswürdig war
Sie dreht und rieb so lang dran ab,
Bis sie ihm doch ein Ansehn gab,
Und wenn’s ihr unerträglich kam
Nahm sie’s als Zucht – für ihren Gram.
Ihr einzig Gut auf dieser Welt
Der Engel noch für Sünde hält.
Dem Mann gelind, sich selber scharf
Sie – Gott – nicht einmal weinen darf,
Sie kommt und bringt ihr Auge klar
Als sein geraubtes Gut ihm dar,
Und wenn er schilt und brummt und knirrt
Ihr leichter um das Herze wird,
Doch wenn er freundlich herzt und küßt
Für Unruh sie des Todes ist.
Denn immer, immer, immer doch
Schwebt ihr das Bild an Wänden noch,
Von einem Menschen, welcher kam
Und ihr als Kind das Herze nahm.
Fast ausgelöscht ist sein Gesicht,
Doch seiner Worte Kraft noch nicht
Und jener Stunden Seligkeit
Ach jener Träume Würklichkeit
Die, angeboren jedermann,
Kein Mensch sich würklich machen kann.