Edition Deutsch
    Library / Literary Works

    Ludwig Tieck

    Der getreue Eckart

    1.

    Der edle Herzog groß
    Von dem Burgunder Lande
    Litt manchen Feindesstoß
    Wohl auf dem ebnen Sande.

    Er sprach: „mich schlägt der Feind,
    Mein Muth ist mir entwichen,
    Die Freunde sind erblichen,
    Die Knecht’ geflohen seind!

    „Ich kann mich nicht mehr regen,
    Nicht Waffen führen kann:
    Wo bleibt der edle Degen,
    Eckart, der treue Mann?

    „Er war mir sonst zur Seite
    In jedem harten Strauß,
    Doch leider blieb er heute
    Daheim bei sich zu Haus.

    „Es mehren sich die Haufen,
    Ich muß gefangen seyn,
    Mag nicht wie Knecht’ entlaufen,
    Drum will ich sterben fein! –“

    So klagt der von Burgund,
    Will sein Schwert in sich stechen:
    Da kommt zur selben Stund’
    Eckart, den Feind zu brechen.

    Geharnischt reit’t der Degen
    Keck in den Feind hinein,
    Ihm folgt die Schaar verwegen
    Und auch der Sohne fein.

    Burgund erkennt die Zeichen
    Und ruft: „Gott sey gelobt!“
    Die Feinde mußten weichen,
    Die wüthend erst getobt.

    Da schlug mit treuem Muthe
    Eckart in’s Volk hinein,
    Doch schwamm in rothem Blute
    Sein zartes Söhnelein.

    Als nun der Feind bezwungen,
    Da sprach der Herzog laut:
    „Es ist dir wohl gelungen,
    Doch so, daß es mir graut;

    Du hast viel Mann geworben,
    Zu retten Reich und Leben,
    Dein Söhnlein liegt erstorben,
    Kann’s dir nicht wieder geben.“

    Der Eckart weinet fast,
    Bückt sich, der starke Held,
    Und nimmt die theure Last,
    Den Sohn in Armen hält.

    „Wie starbst du, Heinz, so frühe,
    Und warst noch kaum ein Mann?
    Mich reut nicht meine Mühe,
    Ich seh’ dich gerne an,

    „Weil wir dich, Fürst, erlösten
    Aus deiner Feinde Hohn,
    Und drum will ich mich trösten,
    Ich schenke dir den Sohn.“

    Da ward dem Burgund trübe
    Vor seiner Augen Licht,
    Weil diese große Liebe
    Sein edles Herze bricht.

    Er weint die hellen Zähren
    Und fällt ihm an die Brust:
    „Dich, Held, muß ich verehren,“
    Spricht er, „in Leid und Lust.“

    „So treu bist du geblieben,
    Da Alles von mit wich,
    So will ich nun auch lieben
    Wie meinen Bruder dich.

    „Und sollst in ganz Burgunde
    So gelten wie der Herr,
    Wenn ich mehr lohnen kunnte,
    Ich gäbe gern noch mehr.“

    Als dies das Land erfahren,
    So freut sich Jedermann,
    Man nennt den Held seit Jahren
    Eckart den treuen Mann.

    Er schwang sich auf sein Pferd,
    Eckart, der treue Held,
    Und sprach: „in aller Welt
    Ist mir nun nichts mehr werth.

    „Die Söhn’ hab’ ich verloren,
    So find’ ich nirgends Trost,
    Der Fürst ist mit erboßt,
    Hat meinen Tod geschworen.“

    Da reitet er zu Wald
    Und klagt aus vollem Herzen
    Die übergroßen Schmerzen,
    Daß weit die Stimme schallt:

    „Die Menschen sind mir todt,
    Ich muß mir Freunde suchen
    In Eichen, wilden Buchen,
    Ihn’n klagen meine Noth.

    „Kein Kind, das mich ergötzt;
    Erwürgt vom schlimmen Leuen
    Blieb Keiner von den Dreien,
    Der Liebste starb zuletzt.“

    Wie Eckart also klagte,
    Verlor er Sinn und Muth,
    Er reit’t in Zorneswuth,
    Als schon der Morgen tage.

    Das Roß, das treu geblieben,
    Stürzt hin im wilden Lauf,
    Er achtet nicht darauf,
    Und will nun nichts mehr lieben.

    Er thut die Rüstung abe.
    Wirft sich zu Boden hin,
    Auf Sterben steht sein Sinn,
    Sein Wunsch nur nach dem Grabe.

    Der Herzog sank darnieder
    Im wilden dunklen Hain,
    Da nahm Held Eckart bieder
    Ihm auf die Schultern fein.

    Er sprach: „gar viel Beschwerden
    Mach’ ich dir, guter Mann!“
    Der sagte: „auf der Erden
    Muß man gar viel bestahn.“

    „Doch sollst du,“ sprach Burgund,
    „Dich freun, bei meinem Worte,
    Komm’ ich nur erst gesund
    Zu Haus und sicherm Orte.“

    Der Held fühlt Thränen heiß
    Auf seinen alten Wangen,
    Er sprach: „auf keine Weis’
    Trag’ ich nach Lohn Verlangen.“

    „Es mehren sich die Plagen,“
    Sprach der Burgund in Noth;
    „Wohin willst du mich tragen?
    Du bist wohl gar der Tod?“ –

    „Tod bin ich nicht genannt,“
    Sprach Eckart noch im Weinen,
    „Du stehst in Gottes Hand,
    Sein Licht mag dich bescheinen!“

    „Ach, wohl ist mir bewußt,“
    Sprach Jener drauf in Reue,
    „Daß sündvoll meine Brust,
    Drum zittr’ ich, daß Er dräue.

    „Ich hab’ dem treusten Freunde
    Die Kinder umgebracht,
    Drum steht er mir zum Feinde
    In dieser finstern Nacht.

    „Er war mir recht ergeben,
    Als wie der treuste Knecht,
    Und war im ganzen Leben
    Mir niemals ungerecht.

    „Die Kindlein ließ ich tödten,
    Das kann er nie verzeih’n,
    Ich fürcht’, in diesen Nöthen
    Treff’ ich ihn hier im Hain:

    „Das sagt mir mein Gewissen,
    Mein Herze innerlich,
    Die Kind’ hab’ ich zerrissen,
    Dafür zerreißt er mich.“

    Der Eckart sprach: „empfinden
    Mußt du so schwere Last,
    Weil du nicht rein von Sünden
    Und schwer gefrevelt hast;

    „Daß du den Mann wirst schauen,
    Ist auch gewißlich wahr;
    Doch magst du mir vertrauen,
    So krümmt er dir kein Haar.“

    Da stand der Eckart von der Erden
    Und trat herfür an’s helle Licht.
    Er zeigt mit traurigen Gebehrden
    Sein hochbekümmert Angesicht.

    Da fehlt dem Burgund Kraft und Muth
    Den Blick des Mannes auszuhalten,
    Den Adern sein entweicht das Blut,
    In Ohnmacht ist er festgehalten.

    Es stürzen ihm die matten Glieder
    Von neuem auf den Boden nieder.
    „Allmächt’ger Gott!“ so schreit er laut,
    „Du bist es, den mein Auge schaut?
    Wohin soll ich vor dir entfliehn?
    Mußt du mich aus dem Walde ziehn?
    Dem ich die Kinder hab’ erschlagen,
    Der muß mich in den Armen tragen?“

    So klagt Burgund und weint im Sprechen,
    Und fühlt das Herz im Busen brechen,
    Er sinkt dem Eckart an die Brust,
    Ist sich sein selber nicht bewußt. –
    Der Eckart leise zu ihm spricht:
    „Der Schmach gedenk’ ich fürder nicht,
    Damit die Welt es sehe frei:
    Der Eckart ward dir stets getreu.“

    Kommt es nicht wie Träumen
    Aus den grünen Räumen
    Zu uns wallend nieder,
    Wie Verstorbner Lieder?

    Spricht Eckart zu den jungen Herrn:
    „Vernehmt den Zauberklang von fern.“
    Wie sich die Tön’ herüberschwungen,
    Erwachet in den frommen Jungen
    Ein seltsam böser Geist,
    Der sie nach unbekannter Ferne reißt.
    195
    „Wir wollen in die Berge, in die Felder,
    Uns rufen die Quellen, uns locken die Wälder,
    Gar heimliche Stimmen entgegen singen,
    In’s irdische Paradies uns zu bringen!“

    Der Spielmann kommt in fremder Tracht
    Den Söhnen Burgunds in’s Gesicht,
    Und höher schwillt der Töne Macht,
    Und heller glänzt der Sonne Licht;
    Die Blumen scheinen trunken,
    Im Abendroth nieder gesunken,
    Und zwischen Korn und Gräsern schweifen
    Sanft irrend blau und goldne Streifen.

    Wie ein Schatten ist hinweggehoben,
    Was sonst den Sinn zur Erden zieht,
    Gestillt ist alles irdische Toben,
    Die Welt zu einer Blum’ erblüht;
    Die Felsen schwanken lichterloh,
    Die Triften jauchzen seligfroh,
    Es wirrt und irrt Alles in die Klänge hinein,
    Und will in der Freude heimisch seyn;
    Des Menschen Seele reißen die Funken,
    Sie ist im holden Wahnsinn ganz versunken.

    Da wurde Eckart rege
    Und wundert sich dabei,
    Er hört der Töne Schläge
    Und fragt sich, was es sey.

    Ihm dünkt die Welt erneuet,
    In andern Farben blühn,
    Er weiß nicht, was ihn freuet,
    Fühlt sich in Wonne glühn.

    „Ha! bringen nicht die Töne,“
    So fragt er sich entzückt,
    „Mir Weib und liebe Söhne,
    Und was mich sonst beglückt?“

    Doch faßt ein heimlich Grauen
    Den Helden plötzlich an,
    Er darf nur um sich schauen
    Und fühlt sich bald ein Mann.

    Da sieht er schon das Wüthen
    Der ihm vertrauten Kind’,
    Die sich der Hölle bieten
    Und unbezwinglich sind.

    Sie werden fortgezogen
    Und kennen ihn nicht mehr,
    Sie toben wie die Wogen
    Im wild empörten Meer.

    Was soll er da beginnen?
    Ihn ruft sein Wort und Pflicht,
    Ihm wanken selbst die Sinnen,
    Er kennt sich selber nicht.

    Da kommt die Todesstunde
    Von seinem Freund zurück,
    Er höret den Burgunde
    Und sieht den letzten Blick.

    So schirmt er sein Gemüthe
    Und steht gewappnet da,
    Indem kommt im Gewüthe
    Der Spielmann selbst ihm nah.

    Er will den Degen schwingen
    Und schlagen jenes Haupt:
    Er hört die Pfeife klingen,
    Die Kraft ist ihm geraubt.

    Es stürzen aus den Bergen
    Gestalten wunderlich,
    Ein wüstes Heer von Zwergen,
    Sie nahen grauerlich.

    Die Söhne sind gefangen
    Und toben in dem Schwarm,
    Umsonst ist sein Verlangen,
    Gelähmt sein tapfrer Arm.

    Es stürmt der Zug an Vesten,
    An Schlössern wild vorbei,
    Sie ziehn von Ost nach Westen
    Mit jauchzendem Geschrei.

    Eckart ist unter ihnen,
    Es reißt die Macht ihn hin,
    Er muß der Hölle dienen,
    Bezwungen ist sein Sinn.

    Da nahen sie dem Berge,
    Aus dem Musik erschallt,
    Und alsobald die Zwerge
    Stillstehn und machen Halt.

    Der Fels springt von einander,
    Ein bunt Gewimmel drein,
    Man sieht Gestalten wandern
    Im wunderlichen Schein.

    Da faßt er seinen Degen
    Und spricht: „ich bleibe treu!“
    Und haut mit Kraft verwegen
    In alle Schaaren frei.

    Die Kinder sind errungen,
    Sie fliehen durch das Thal,
    Der Feind noch unbezwungen
    Mehrt sich zu Eckarts Qual.

    Die Zwerge sinken nieder,
    Sie fassen neuen Muth,
    Es kommen andre wieder,
    Und jeder kämpft mit Wuth.

    Da sieht der Held schon ferne
    Die Kind’ in Sicherheit,
    Spricht: „nun verlier’ ich gerne
    Mein Leben hier im Streit.“

    Sein tapfres Schwert thut blinken
    Im hellen Sonnenstrahl,
    Die Zwerge niedersinken
    Zu Haufen dort im Thal.

    Die Kinder sind entschwunden
    Im allerfernsten Feld,
    Da fühlt er seine Wunden,
    Da stirbt der tapfre Held.

    So fand er seine Stunde
    Wild kämpfend wie der Leu,
    Und blieb noch dem Burgunde
    Im Tode selber treu.

    Als nun der Held erschlagen,
    Regiert der ält’ste Sohn,
    Dankbar hört man ihn sagen:
    „Eckart hat meinen Thron

    „Erkämpft mit vielen Wunden
    Und seinem besten Blut,
    Und alle Lebensstunden
    Verdank’ ich seinem Muth.“

    Bald hört man Wundersagen
    Im ganzen Land umgehn,
    Daß wer es wollte wagen
    Den Venus-Berg zu sehn,

    Der werde dorten schauen
    Des treuen Eckart Geist,
    Der Jeden mit Vertrauen
    Zurück vom Felsen weist,

    Wo er nach seinem Sterben
    Noch Schutz und Wache hält.
    Es preisen alle Erben.
    Eckart den treuen Held.




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